Gedenken an Schwandorfer Brandanschlag im Zeichen der Erinnerungskultur

Am Jahrestag des rassistischen Brandanschlags von Schwandorf vom 17.12.1988, versammelten sich Angehörige der Opfer sowie Bürgerinnen und Bürger zur offiziellen Gedenkveranstaltung der Stadt. Den Hauptvortrag hielt Dr. Andreas Angerstorfer von der Universität Regensburg. Er stellt seinen Vortrag unter das Thema «Erinnerungskultur». Das lokale Bündnis «Schwandorf ist bunt» hatte dazu parallel eine kleine Ausstellung zur lokalen Erinnerungskultur vorbereitet.
Alle Reden standen zudem unter dem Eindruck der erst kürzlich aufgedeckten Verbrechensserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Die Gedenkveranstaltung fand dieses Jahr im evangelischen Gemeindezentrum statt, in Sichtweite des damaligen Tatortes, wo vier Menschen ihr Leben lassen mussten, als der stadtbekannte Neonazi Josef S. das mehrheitlich von türkischen Mitbürgern bewohnte Haus in Brand steckt.
Begrüßen konnte Gastgeber Pfarrer Arne Langbein von der evangelisch – lutherischen Kirche wieder die türkische Generalkonsulin Ece Öztürk Cil und den Attache für Religionsangelegenheiten Dr. Cafer Acar (beide Nürnberg), den Landtagsabgeordneten Franz Schindler (SPD), Schwandorfs Oberbürgermeister Helmut Hey (SPD) mit seinen beiden Bürgermeistern Ulrike Roidl (SPD) und Dieter Jäger (Freie Wähler) sowie weitere Angehörige des Stadtrats. Für die katholische Kirche und die türkisch-islamische Kulturgemeinde, die im Wechsel jeweils die Gedenkstunde in ihren Räumen ausrichten, sprachen Dekan Hans Amann und Imam Hakif Seyman. Stadtrat Ferdi Eraslan (Freie Wähler) übersetzte die Reden jeweils ins Deutsche bzw. Türkische.
Generalkonsulin Öztürk Cil erinnerte, dass es sich bei dem rassistischen Brandanschlag von damals um keine Einzelerscheinung handelte. «Menschen unterschiedlicher Herkunft, darunter sehr viele Deutsche, mussten nur deswegen streben, weil ihr Anders sein nicht geduldet wurde.» Unter dem Eindruck der NSU-Mordserie könne sie keine tröstenden Worte finden, so Öztürk Cil weiter. Sie forderte die Bekämpfung der menschenverachtenden Ideologie des Rechtsextremismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Dr. Cafer Acar appellierte an die Wachsamkeit und Sensibilisierung der Gesellschaft gegenüber Rassismus und Diskriminierung. Sie seien heute genauso wie vor 23 Jahren eine Gefahr. Auch der Koran fordere Wachsamkeit gegenüber dem Bösen, gerade von denjenigen, die nichts böses tun. Gedenkstunden wie die in Schwandorf lobte er als Bemühungen zur Erhaltung der Menschheit.
Dr. Andreas Angerstorfer erinnerte ebenfalls an die vielen Anschläge und Morde, die auf den Brandschlag von 1988 im ganzen Bundesgebiet folgten. Ein Wort des Bedauerns fanden weder der damalige Brandstifter von Schwandorf noch die Mörder der NSU, die ihre Opfer noch in einem menschenverachtenden Video verhöhnten. Angerstorfer kritisierte die Geheimdienste, die immer noch glauben, Neonazis führen zu können und dabei selbst vielleicht geführt werden. Der islamische Fundamentalismus und Terror von links würden bei jeder Gelegenheit als allgegenwärtige Bedrohung beschrieben, während in vielen Gegenden vor allem Rechtsextremisten präsent sind.
Er bezeichnete die Wahrnehmung als ein typisches Beispiel deutscher Erinnerungskultur, die eher einer Verdrängungskultur ähnelt. Die Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers ist in manchen Städten noch heute ein Problem. In Ostbayern, das überzogen war von Außenlagern der Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg ist das Bild kaum positiver. Die Erinnerungstafel vor dem KZ-Außenlager Colloseum in Regensburg spreche nur von geschwächten Häftlingen, aber nicht von den etwa 60 Toten.
Er erinnerte daran, dass die vielen Opfer der Todesmärsche, die kurz vor Kriegsende 1945 gerade durch Ostbayern führten, oftmals unter dem Widmung «Sie fielen für Deutschland» begraben wurden. «Überlegen sie sich diesen Satz der Erinnerungskultur. Ermordete KZ-Häftlingen wurden praktisch über Kriegerdenkmäler entsorgt, entschuldigen sie diesen Ausdruck. Ernst
gemeint ist eine solche Geschichte nicht».
Ebenso verfuhr man bei der Frage nach den Tätern. «Immer wo man gerade war, da hat es nie welche gegeben. Die Befehle von brennenden Synagogen, die kamen natürlich aus München oder aus Berlin. An vielen Orten lügt die historische Überlieferung bis heute: Diese SA-Brigaden, diese Hitlerjungen und sonstige, die das Feuer legten, das waren immer Auswärtige. Von uns war natürlich keiner dabei». So wie es in der Erinnerung vielerorts keine Nazis gab, so gebe es dort heute keine Neonazis. «Die Verdrängung der Adenauer-Zeit prägt die Einstellungen bis heute, obwohl der Antisemitismus eine andere Sprache spricht», so Angerstorfer.
Von den Ausprägungen, z.B. der Schändung jüdischer Friedhöfe, 41 allein im Jahr 2010, lese man in den Medien wenig. «In Deutschland führen Neonazis seit Jahren einen Kampf gegen die Erinnerungskultur an den Terror der Nazis. Mahnmale und andere Gedenkorte werden zerstört. Stolpersteine als eine Form der Erinnerungskultur werden besonders attackiert. «Die Haltbarkeit solcher verlegter Steine wird immer kürzer. In Berlin liegt sie neuerdings unter 24 Stunden.»
Für die Ermordeten von damals und heute bleibe uns nur der politische Einsatz, so Angerstorfer. «Das sind wir ihnen schuldig, ob wir sie persönlich gekannt haben oder nicht. Das ist die Konsequenz aus einer Erinnerung, die nicht einfach Gedenktage abarbeitet, sondern sich als gefährliche Erinnerung vor allem dadurch zeigt, dass das auch eine Nachwirkung hat. Auf Dauer funktioniert, wenn man politisch und ehrlich denkt, das Ignorieren und Verdrängen nicht. Die Mörder ignorieren die Toten nicht, sie verhöhnen sie. Man muss sich der gefährlichen Erinnerung stellen und sie aushalten, auch wenn sie unangenehm ist und das Bild der heilen Welt ankratzt.»
Nach einem Gedicht zum Thema «Heimat» und «Fremdsein» und einem gemeinsamen Friedensgebet gedachten die Anwesenden am Tatort den Ermordeten und brachten zum Andenken Blumen an der Gedenktafel an.