«Im OK-Bereich haben wir schneller Infos vom Verfassungsschutz bekommen»

Erneut ging es im Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ um den Ablauf und die Art und Weise der Mordermittlungen anlässlich der bundesweiten Mordserie: In der 17. Sitzung sagten dazu der stellvertretende BAO-Leiter Klaus Mähler und der Fallanalytiker Alexander Horn als Zeugen vor dem Bayerischen Landtag aus.
Zeugeneinvernahme: Klaus Mähler, Kriminaloberrat a.D., Polizeipräsidium München
Die Mordermittlungen seien zunächst ganz auf den Bereich der „Organisierten Kriminalität“ (OK) gestützt gewesen, berichtete der stellvertretende BAO-Leiter Klaus Mähler. Man habe versucht, „Hinweise aus allen möglichen Bereichen zu bekommen“, deshalb seien auch verdeckte Ermittler eingesetzt und V-Leute abgeschöpft worden. Diese sollten im „Bereich der türkischen Ethnie und sonstiger Ausländer angefragt werden“, so Mähler. Verdeckte Ermittler hätten sich beispielsweise als Journalistinnen und Journalisten ausgegeben, andere wiederum seien bei dem von der Polizei eröffneten Dönerstand tätig gewesen. Außerdem seien auch im Umfeld der Opfer verdeckte Ermittler eingesetzt worden.
Am Ende habe es allerdings nichts gegeben, „was uns weitergeführt hat“, erzählt der Kriminaloberrat, und ergänzt: „Wir haben versucht, den Hinweisen in Richtung Rauschgift, Schutzgeld und Glücksspiel nachzugehen – aber die hatten im Ergebnis nichts mit dem Tötungsdelikten zu tun, sie waren allesamt überhaupt nicht zielführend.“ Deswegen wich man zum Ende des Jahres 2005 hin allmählich von der Theorie der „Organisierten Kriminalität“ ab und begann mit der Entwicklung von sogenannten „Alternativhypothesen“.
„Zur Jahreswende 2005/2006 kamen wir bei Besprechungen dann zu dem Ergebnis, das etwas anders denkbar sein müsste, als nur der Ansatz aus der ersten Operativen Fallanalyse“, sagte Mähler. „Bei der BAO entstand dann der Auftrag, sich mit dem Fallanalytiker Herrn Horn in Verbindung zu setzen und sich mit ihm auszutauschen, ob eine Alternativhypothese erarbeitet werden kann.“ Horn habe dann eine neue Analyse erstellt, die 2006 mit dem Schwerpunkt der „Einzeltäter/Serientätertheorie“ vorgestellt und „vorgetragen“ worden sei.
Infolge dessen sei die BAO personell aufgestockt worden. Zudem gab es eine neue Abteilung mit acht bis zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich mit dem Bereich Rechtsradikalismus befassen sollten. Auch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, das bereits bei den Ermittlungen in Richtung OK immer wieder bei Besprechungen anwesend gewesen ist, sei über die neue Ermittlungsrichtung in Kenntnis gesetzt worden, erinnert sich Mähler. Aufgrund dieses neu entwickelten Ansatzes änderte man seine Ermittlungsstrategie grundlegend und begann nach „männlichen, missionsgeleiteten, waffenaffinen Tätern mit ausländerfeindlichem Motiv“ zu suchen, die früher vielleicht einmal in der rechten Szene aktiv waren.
Um Erkenntnisse über mögliche Täter zu bekommen, wurde der Verfassungsschutz schließlich um die Übersendung einer Liste von bayernweit aktiven und bekannten Neonazis gebeten. Doch diese Liste ließ lange auf sich warten. In der Zwischenzeit sei versucht worden, mit eigenen Daten einen Abgleich vorzunehmen und damit eine geeignete Schnittmenge zu erzielen. Dennoch seien in der Suche die Begriffe „Neonazis und Rechtsterrorismus“ kein Thema gewesen, einzig der Begriff „Rechtsextremismus“ sei bei den Beamten ein Thema gewesen.
Trotzdem sei versucht worden, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Mähler berichtete zum Beispiel von der Suche nach ähnlichen Taten im Ausland oder von Daten, die EUROPOL zur Verfügung gestellt hatte. Davon, dass der „Militärische Abschirmdienst laut Aktenstücken“ bereits damals von „Rechtsterrorismus“ gesprochen haben soll, sei nichts bekannt gewesen. Ferner sei man vom Bundesamt für Verfassungsschutz nicht auf neonazistische Konzepte wie etwa den „führerlosen Widerstand“ hingewiesen worden, so Mähler.
Auf dem rechten Auge blind will die Polizei aber keinesfalls
gewesen sein, vielmehr hätte der BAO-Leiter Geier immer wieder gegen Widerstände ankämpfen müssen, weil er die Theorie eines rassistisch motivierten Täters verfolgt habe. Besonders beim BKA und bei einzelnen Bundesländern sei das „Verständnis nicht sehr groß“ gewesen. Als die Liste mit den 682 Namen statt den eigentlich geforderten 3.500 Namen letzten Endes ankam, war Mähler bereits nicht mehr bei der BAO eingesetzt. Nichtsdestotrotz räumte er ein, dass die Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich OK besser funktioniert habe. Normalerweise seien die benötigten Informationen deutlich schneller gekommen. Eine eigene Auswertung der Daten durch das LfV wurde zudem nicht angeboten.
Zeugeneinvernahme: Alexander Horn, Erster Kriminalhauptkommissar Polizeipräsidium München
Der Fallanalytiker Alexander Horn gewährte anschließend einen Einblick in seine Arbeit und erläuterte die Erstellung des Täterprofils, das die NSU-Mörder bereits relativ treffend beschrieben hat. Ein Fallanalytiker unterstütze im Normalfall die Ermittler bei „herausragenden Ermittlungsfällen“ durch eine Analyse. Diese entsteht durch Rückschlüsse, die durch die Begutachtung des Tatorts erlangt werden können und durch das Verhalten des Täters am Tatort. Bei den NSU-Morden hätte sich dies aber als „schwierig“ gestaltet, sagte Horn, dem besonders die „kurzen Zeitfenster und die schnelle Abfolge der Schüsse“ Probleme gemacht hätten. „Es war sehr wenig Täterverhalten nachvollziehbar und rekonstruierbar.“
Schnell habe sich eine entscheidende Frage gestellt: „Was bedeutet die Opferauswahl?“ Die erste Analyse, die noch gen OK wies, musste kritisch hinterfragt werden, weil bei den Opfern Nummer 8 und 9 „keinerlei krimineller Hintergrund“ mehr zu vermuten gewesen sei, so Horn. Gerade bei den Taten 8 und 9 sei „die Hypothese wahrscheinlich“ gewesen, „dass die Opfer nicht gezielt als Personen ausgewählt worden sind“, sondern eher willkürliche Opfer waren.
Wieso aber hatte man dann bei den Taten 1 bis 7 nach einem Hintergrund in Bereich der OK gesucht? Für Horn waren damals die „Ansprachen“, also die Gespräche der Opfer mit den vermeintlichen Tätern, die von Zeugen beobachtet worden sein sollen, entscheidend. „Der Hintergrund der Opfer gab zwar keinen Hinweis auf OK, aber das heißt nicht, dass es keine Konfliktfelder gab“, urteilt der Profiler. In den ersten sieben Fällen habe schlicht und einfach der Erkenntniswert gefehlt, den es dann bei den Fällen acht und neun gegeben habe.
Letztlich stellten die Profiler ein Gutachten vor, wonach es sich „missionsgeleitete Täter mit einem starken Bedürfnis nach Aktionismus“ handle. Die Täter könnten außerdem einmal in der rechten Szene aktiv gewesen sein, aus der sie sich aber mit Beginn der Mordserie öffentlich zurückgezogen haben. Als möglichen „Ankerpunkt“ fokussierte der Profiler Nürnberg. Nürnberg sei als „Ankerpunkt“ deshalb wahrscheinlich gewesen, weil es für die Serie eine große Bedeutung gespielt hat. So hat die Mordserie in der mittelfränkischen Stadt begonnen, mit drei Morden sei eine Häufung zu beobachten und zudem seien für den zweiten Mord der Serie „gewisse Ortskenntnisse schon als sehr, sehr wahrscheinlich anzusehen“. Und auch in anderer Hinsicht sei Nürnberg außergewöhnlich gewesen.
Bei der auf die Analyse folgende Medienstrategie, für die Horn ebenfalls verantwortlich zeichnete, habe man nach außen transportieren wollen, dass es sich um Täter mit „gegen Ausländer gerichteten Zerstörungswut“ handeln muss. Bei der Medienstrategie habe man allerdings auch abwägen müssen, räumte der Fallanalytiker am Mittwoch vor dem Landtag ein.
Im Zuge seiner Analyse seien ihm auch die Taten des Laser-Mans in Schweden und ein Nagelbombenanschlag in Köln bekannt gewesen. Von den Banküberfällen, die das Trio beging, habe er aber nichts gewusst, diese seien ihm unbekannt gewesen. Mit den Ermittlungen selbst habe Horn nichts zu tun gehabt, er sei alleine für die Operative Fallanalyse und die Medienstrategie verantwortlich gewesen, wie er mehrfach
betonte. Die Ermittlungen lagen bei der BAO-Bosporus unter der Leitung des leitenden Kriminaldirektors Wolfgang Geier.