Peinlichkeiten ohne Ende: NSU-Prozessbeginn droht erneut zu platzen
Kommenden Montag sollte der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Mitverschwörer vor dem Münchner Oberlandesgericht beginnen. Eigentlich. Doch möglicherweise verschiebt sich die Eröffnung erneut: Ein freier Journalist reichte beim Bundesverfassungsgericht Klage ein, da er beim Losverfahren nicht zum Zuge kam. ENDSTATION RECHTS. liegen die Schriftsätze exklusiv vor.
Der NSU-Prozess gilt als einer der wichtigsten Prozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte. Denn dort wird nicht mehr und nicht weniger als die Frage gestellt werden, warum und wie überhaupt die deutschen Sicherheitsbehörden über einen Zeitraum von mehr als einem Dutzend Jahren versagten. Die Verhandlung ist noch nicht eröffnet, da sorgte sie bereits weltweit für Kopfschütteln. Zuerst wurde den ausländischen Medienvertretern kein sicheres Kontingent an Plätzen zugewiesen, mit dem Resultat, dass weder eine türkische noch eine griechische Zeitung – aus diesen Ländern stammten die meisten Mordopfer – einen festen Platz bekamen.
Diese Farce beendete erst das Bundesverfassungsgericht. Die türkische Zeitung „Sabah“ klagte und bekam von den Karlsruher Richtern Recht. Daraufhin schrieb das Münchner Oberlandesgericht (OLG) den kompletten Akkreditierungsprozess neu aus, was von den obersten Verfassungshütern gar nicht gefordert wurde. Der Prozessbeginn wurde um mehrere Wochen verschoben. Das Los bescherte der Frauenzeitschrift „Brigitte“, dem Fernsehsender „RTL 2“ oder „Radio Lotte Weimar“ einen Platz, nicht aber den überregional erscheinenden Tageszeitungen wie der Süddeutschen Zeitung, der FAZ, der taz, der Zeit oder der Welt.
In einigen Chefredaktionsstuben wird nun über eine Klage gegen den Losentscheid nachgedacht. Konkret geht es um den Vorwurf, einige Medienkonzerne, die sich mit mehreren Publikationen bewerben konnten, seien im Vorteil gewesen. So ist die ARD gleich mit fünf Sendeanstalten vertreten. Dabei sind die Verlagsgruppen taktisch vorgegangen, um ihre Chancen zu erhöhen. Längst hat die „Brigitte“ mitgeteilt, dass sie ihren Platz mit dem „Stern“ teilen wird, der ebenfalls zu „Gruner und Jahr“ gehört. „Denn es ist schlicht nicht haltbar, dass Zeitungen mit nationalem Anspruch und ihrer ausgewiesenen Kompetenz, den Verlauf des Prozesses einordnen und analysieren zu können, sich nur aus zweiter Hand informieren können“, schreibt die Chefredakteurin der taz, Ines Pohl.
Damit nicht genug. Gegenüber der Tagesschau musste eine Gerichtssprecherin weitere Pannen einräumen. So habe ein freier Mitarbeiter des WDR einen Platz bekommen, obwohl er seine Bewerbung längst zurückgezogen hatte. Außerdem war der MDR-Hörfunk im Lostopf der Fernsehanstalten gelandet, was allerdings ohne Konsequenzen blieb, da den Radiomachern die Glücksfee nicht hold war. Mit einer Nachverlosung möchte das OLG diesen Fauxpas ausmerzen.
Nicht zum Zuge kam der freie Journalist Martin Lejeune, der in der ersten Runde noch einen festen Platz ergattert hatte. Gleiches gilt im Übrigen für die zahlreichen Fachjournalisten, die in den letzten Jahren kontinuierlich über den Rechtsextremismus berichteten und sich durch ihr Wissen auszeichnen.
Martin Lejeune bestätigte ENDSTATION RECHTS., dass er am Montag Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht habe. Vertreten wird er von Professor Hans-Jörg Bücking, der zuletzt Öffentliches Recht mit den Schwerpunkten Staatsrecht an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen in Bielefeld lehrte. In der 22 Seiten starken Klageschrift, die ENDSTATION RECHTS. vorliegt, führt Bücking aus, die OLG-Entscheidung, nur eine begrenzte Anzahl an Medienvertretern zuzulassen, sei eine Verletzung der im Grundgesetz garantierten Pressefreiheit und des Gleichheitsgrundsatzes.
Damit ist keinesfalls sicher, ob der Prozess kommenden Montag – so wie geplant – beginnen kann. „Ich bedaure zutiefst, dass das eigentliche Thema des Prozesses, die Verbrechen des NSU, gar nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Mir tun vor allem die Opfer-
Angehörigen leid. Aber dafür kann ich doch nichts. Wenn der Vorsitzende Richter seine Arbeit ordentlich gemacht hätte, hätte der Prozess doch schon begonnen und niemand hätte über die Rahmenbedingungen gesprochen“, so Lejeune. Gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl fährt er schweres Geschütz auf: „Der Richter des Auschwitz-Prozesses hat 1963 vorgemacht, wie man so ein Problem löst. Er zog während des Verfahrens vom Römer ins Gallus um. Wenn es Frankfurt gelang, dieses Problem zu lösen, warum sollte das München nicht schaffen?“
Aktualisierung, 03. Mai 2013:
Das Bundesverfassungsgericht hat bisher keine Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung angenommen, der Prozess gegen Zschäpe u. a. wird am Montag, den 6. Mai beginnen. Eine entsprechende Presseerklärung des OLG dazu gab es heute auch.