«Der Verfassungsschutz schadet der Demokratie»

Trotz der Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ verteidigen CSU, FDP und Freie Wähler den Verfassungsschutz weiter als „Instrument der wehrhaften Demokratie“. Das zeigt, dass sie aus der Arbeit nichts gelernt haben.
Ein Kommentar
Als in der 132. Plenarsitzung des Bayerischen Landtags am Mittwoch die Ergebnisse aus dem Untersuchungsausschusses „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ vorgestellt wurden, stand allen Fraktionen eine Aussprache von rund 30 Minuten zur Verfügung. Während SPD und Grüne dabei eine Abschaffung des Verfassungsschutzes in seiner jetzigen Form forderten, hielten CSU, FDP und Freie Wähler weiter eisern am Inlandsgeheimdienst fest. In ihm sehen sie – trotz der unfassbaren Erkenntnisse, die im NSU-Untersuchungsausschuss über den Verfassungsschutz und dessen Arbeitsweise zu Tage gefördert worden sind – einen „wesentlichen Bestandteil der Sicherheitsarchitektur und ein Instrument der wehrhaften Demokratie“.
In welchem Ausschuss diese Abgeordneten auch immer gewesen sein wollen – der zum Thema „NSU“ kann es nicht gewesen sein. Denn was die Abgeordneten im Laufe ihrer Arbeit über den Verfassungsschutz erfahren haben, kann einen solchen Schluss unmöglich zulassen. Es ist ja bei weitem nicht „nur“ so, als ob das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz bedeutende Entwicklungen in der Neonazi-Szene wie den „führerlosen Widerstand“, das rechte Terrorkonzept „Combat 18“ oder die Organisation „Blood and Honour“ komplett verschlafen hätte. Der Inlandsgeheimdienst hat in den 1990er Jahren zu allem Überfluss auch noch einen V-Mann in die Szene „implantiert“ und ihn dort – unter Missachtung anderslautender Vorschriften – eine führende Rolle einnehmen lassen. Dieser V-Mann agierte als einer der Hauptverantwortlichen in einem neonazistischen Mailbox-System und hat etliche Aufmärsche organisiert; auch kannte der V-Mann die späteren NSU-Mitglieder.
Das ach so wichtige „Instrument der wehrhaften Demokratie“ hat also eine Person in die Nazi-Szene geschickt, diese seelenruhig zu einer der Führungsfiguren aufsteigen lassen – und schließlich Geld für die Berichte über Erkenntnisse bezahlt, die es ohne diese V-Person nie gegeben hätte. Geradezu zynisch erscheint unter diesen Umständen die Aussage des CSU-Abgeordneten Dr. Ottmar Bernhard, wonach das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) „viele Zugänge in die Nazi-Szene und ein flächendeckendes Lagebild“ gehabt hätte.
Doch der Verfassungsschutz hat längst nicht nur bei der Beobachtung der rechten Szene versagt. Als die Polizei die Behörde um die Übersendung einer Liste mit den Namen aller Neonazis in Bayern gebeten hat, verweigerte das LfV – trotz der Kenntnis um die Umstände – sogar regelrecht die Arbeit. Zu Unrecht, wie inzwischen fest steht, führte das Amt das Trennungsgebot und den Datenschutz als Gründe für die nicht stattgefundene Übermittlung der Liste an – und ließ die Polizei einfach mehrere Monate warten. Wie scheinheilig dieses Argument war und ist, wird spätestens dann deutlich, wenn man bedenkt, dass der Verfassungsschutz Anfragen der Polizei zu Verbindungen der Opfer in die Organisierte Kriminalität (OK) pflichtbewusst und schnell, ganz ohne Skrupel und Bedenken beantwortet hat.
Alleine das reicht aus, um die Unwissenheit beziehungsweise den – noch schlimmeren – Unwillen der Behörde zu beweisen. Wirft man allerdings auch noch einen Blick in die Verfassungsschutzberichte in der Zeitspanne des Untersuchungszeitraum von 1994 bis 2011, glaubt man ein schlecht geschriebenes Märchenbuch zu lesen. So unwissend wie sich die Mitarbeiter des LfV vor dem Ausschuss präsentiert haben, lesen sich die Berichte der Behörde. Immer wieder heißt es etwa in den Publikationen des LfV, dass eine Diskussion über Gewaltanwendung in der Neonazi-Szene keine Befürworter finde – und das, obwohl mehrere Anschläge und selbst rechte Veröffentlichungen aus dieser Zeit eine andere Sprache sprechen. Obwohl dem LfV nachrichtendienstliche
Mittel zur Verfügung stehen, hat die Behörde nichts mitbekommen, beinahe jede zivilgesellschaftliche Organisation wusste mehr.
Und diese Entwicklungen setzen sich bis heute fort, das Versagen des Landesamtes ist keineswegs beendet. Auch heute noch liefert die Behörden höchst zweifelhafte Informationen, diskreditiert das Engagement gegen Neonazis und betreibt eine Bildungsarbeit, die diese Bezeichnung überhaupt nicht verdient hat. Die vom LfV vermittelten Informationen gelten als zweifelhaft, Experten zufolge schwächen sie in der Realität das zivilgesellschaftliche Engagement – und immer wieder soll die Behörde Protest verhindern und rechte Entwicklungen regelrecht herunterspielen sowie verharmlosen wollen.
All das ist die Aufgabe des Verfassungsschutzes in der Realität. Führt man sich diese Fakten vor Augen, möchte man der Behörde ja fast für ihren beispiellosen Einsatz ganz im Sinne der „wehrhaften Demokratie“ applaudieren! Doch Scherz beiseite: Tatsächlich ist es so, dass der Verfassungsschutz – allen nachrichtendienstlichen Mitteln zum Trotz – Entwicklungen in der rechten Szene entweder verschläft, nicht richtig einschätzt oder manches einfach ignoriert. Zudem hat der Verfassungsschutz über Jahre hinweg Geld in die Nazi-Szene gepumpt – und betreibt heute „Aufklärungsarbeit“, die eine engagierte Zivilgesellschaft schwächt. Eine solche Behörde ist kein „Instrument einer wehrhaften Demokratie“ – eine solche Behörde schadet der Demokratie in höchstem Maße, ja sie ist sogar ein Unding für eine demokratische Gesellschaft. Deshalb gibt es auch nur eine einzige Möglichkeit: Der Verfassungsschutz muss – so wie er gegenwärtig besteht – umgehend abgeschafft werden. Das kann die einzig mögliche Konsequenz aus dem Skandal rund um den NSU sein!