Interview zur Ausstellung «Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen»

Am 08. November wird die Wanderausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ im Nürnberg eröffnet. Gemeinsam mit Leonhard F. Seidl hat die Hauptorganisatorin Birgit Mair vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung die Ausstellung erstellt, die demnächst im Nürnberger Gewerkschaftshaus präsentiert wird. ENDSTATION RECHTS.Bayern hat vor der Eröffnung mit Birgit Mair über ihre Motivation für die Ausstellung, den Untersuchungsausschuss und die offenen Fragen gesprochen.
Mit Birgit Mair sprach Katharina Brehm
ER-B: Zur Vorbereitung für die NSU – Opferausstellung haben Sie über ein Jahr lang den Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus in Bayern – NSU“ beobachtet.
Welche Eindrücke haben Sie dort gesammelt, gerade im Bezug auf Bayern? Was lief schief und gab es ein systematisches Versagen der Behörden?
Mair: Ich würde nicht von einem Behördenversagen im Sinne einer Aneinanderreihung peinlicher Pannen sprechen. Für mich haben die Behörden vor allem deshalb versagt, weil bei den Ermittlungen fast nicht nach rechts geguckt wurde. Neonazis als potentielle Täter wurden einfach nicht ins Visier genommen. Wenn man Beamte nach den Gründen hierfür gefragt hat, hat man zu hören bekommen, dass ein Bekennerschreiben oder ähnliches fehle und man deshalb Neonazis als Täter ausschließen könne. Tatsache ist aber, dass sich Neonazis bei Kapitalverbrechen wie Brandanschlägen oder Morden auch in der Vergangenheit eher selten zu ihren Taten bekannt haben. In Zukunft sollte man viel häufiger Neonazis als Angreifer ins Visier nehmen. Dann gibt es bei rassistischen Angriffen auf Migrantinnen und Migranten eher eine Chance, die Täter zu finden.
Ein weiterer negativer Eindruck, den ich sammeln durfte, waren auch die teils rassistischen Äußerungen, die so mancher Polizeibeamter im Rahmen des Untersuchungsausschusses getätigt hat. Das haben wir auch in unserer Ausstellung thematisiert.
ER-B: Was hat Sie motiviert, diese Ausstellung zu erarbeiten?
Mair: Am 8. November 2011 saß ich mit einem Bekannten im Café, in dem ein Fernseher lief. Über eine Banderole konnten wir die neuesten Nachrichten mitlesen. Da haben wir gelesen, dass Neonazis hinter der Mordserie steckten.
Das fand ich unglaublich, denn, als ich 2005 über den damaligen Mord in Nürnberg nachgedacht habe, habe auch ich angefangen mich zu fragen, ob das nicht doch Nazis sein könnten. Vorher habe ich das allerdings auch nicht getan.
Auf jeden Fall habe ich mich gleich auf mein Fahrrad geschwungen und alle Tatorte in Nürnberg abgeklappert. Ich habe Leute getroffen, befragt, ich habe Bilder angeschaut und alte Nachrichten gelesen. Da war meine Neugier geweckt. Und auch, weil in Nürnberg gleich drei der Morde passiert sind. Ich lebe seit knapp 30 Jahren hier, bin als geborene Österreicherin selber Migrantin und schon seit fast dreißig Jahren aktiv im Kampf gegen Nazis und Rassismus. Mich hat das wirklich umgetrieben, auch die Frage, warum hier in dieser Stadt. Das hatte also auch etwas damit zu tun, dass ich hier lebe.
ER-B: Nachdem der Entschluss zur Erstellung der Ausstellung gefallen ist, begann die Arbeit. Wie muss man sich diese vorstellen? Können Sie uns die Entstehung der Ausstellung beschreiben, die einzelnen Arbeitsphasen skizzieren?
Mair: Ich habe mir erst mal sämtliche Bücher gekauft, die zu dieser Thematik auf dem Markt waren. Dann hab ich im März und April eine Reise durch alle Tatortstädte gemacht, bis hin nach Rostock. Ich habe mit Leuten geredet, mit Anwälten gesprochen und auch versucht, mit meinem Anliegen an die Angehörigen heranzutreten.
Zeitgleich kamen die ersten Berichte aus den Untersuchungsausschüssen. Am meisten haben wir uns allerdings auf die Angehörigen gestützt.
ER-B: Welche Eindrücke haben Sie bei den Treffen mit den
Anwälten der Angehörigen gesammelt, welche Reaktionen haben Sie bekommen und wie haben die Hinterbliebenen auf das Vorhaben, eine Ausstellung zu machen, reagiert?
Mair: Wir hatten durchwegs positive Rückmeldungen. Den anfänglichen Kontakt herzustellen, war schwieriger als erwartet. Den Grund dafür begriff ich schnell: Aufgrund des anstehenden NSU-Prozess wurden die Angehörigen von ihren Anwälten abgeschirmt. Erst im Sommer kam ich mit Angehörigen der Mordopfer in Kontakt, über die Anwälte oder direkt. Manche haben uns so viele Fotos von ihren ermordeten Verwandten zugestellt, dass der Platz hierfür unsere Ausstellung sprengen würde. Deshalb gibt es auch einen Begleitband zur Ausstellung.
Wichtig war mir, dass die Angehörigen unsere Textentwürfe korrigieren und dies haben fast alle getan. Dabei wurde deutlich, dass einige Aussagen über die NSU-Mordopfer in den bislang erschienenen Büchern ziemlich ungenau oder sogar falsch sind.
Unser Vorsatz, die Opfer der NSU Morde in einem anderen Licht darzustellen, als nur die Opfer der «Dönermorde», ist gelungen.
ER-B: Ihre Ausstellung wird von der Amadeu–Antonio–Stiftung und vom Kulturreferat der Stadt München gefördert. War es schwierig, Unterstützung bzw. finanzielle Förderungen für dieses Projekt zu bekommen?
Mair: Überraschenderweise war die Suche nach Unterstützung, vor allem finanzieller Art, sehr schwierig. Eigentlich sollte man denken, das Thema ist aktuell wie nie, aber beispielsweise Vielfalt tut gut bei Stadt Nürnberg wollte uns nichts geben, obwohl die durchaus Bundesgelder zur Verfügung gehabt hätten. Wir haben uns und unser Projekt vorgestellt, aber sie hätten nicht gedacht, dass wir es schaffen, dieses Projekt zu verwirklichen, war zu hören. Die Stadt Nürnberg selbst hat auch noch nichts gegeben, wir haben jetzt aber mal beim Kulturreferat einen Antrag gestellt. (Das Kulturreferat Nürnberg hat ebenfalls nichts beigesteuert. Anmerkung der Autorin).
Das Kulturreferat der Stadt München hat uns dankenswerterweise bereits gefördert. Die Gewerkschaft ver.di Mittelfranken fördert uns über die Kooperation und ermöglicht uns, die Ausstellung in ihren Räumen zeigen zu dürfen. Das Bildungs- und Förderungswerk der GEW im DGB ist ein weiterer Sponsor. Wir sind weiterhin offen für Förderer.
ER-B: Inzwischen ist die Ausstellung vollendet, die Arbeit abgeschlossen und die Ausstellung wird bald eröffnet. Gibt es bereits ein reges Interesse an der Wanderausstellung und aus welcher Richtung (Gewerkschaften, Bündnisse, Schulen) stammen die Anfragen überwiegend?
Mair: Es gibt so viele Interessenten, dass wir mehrere Exemplare der Ausstellung drucken lassen werden.
Gebucht ist aus allen Richtungen quer Beet: Schulen, Initiativen, politische Bildungseinrichtungen, Kommunen im gesamten Bundesgebiet von München bis Rostock. Einige haben auch gesagt, sie möchten sich die Ausstellung erst anschauen, bevor sie sie buchen.
ER-B: An welche Zielgruppe möchten Sie sich mit dieser Ausstellung besonders richten, wen möchten Sie ansprechen?
Mair: Wir haben die Ausstellung in einfacher, klarer Sprache formuliert, damit sie von 14 bis ins hohe Alter wirklich von jedem besucht werden kann. Wir haben schon viele Nachfragen für die Ausbildung zum Schülercoach. Die dürfen dann anderen Jugendlichen die Ausstellung zeigen. Viele Schulen und Lehrkräfte finden dieses Angebot interessant. Ich bilde die Jugendlichen gerne aus, das macht wirklich Spaß.
ER-B: Welches Ziel möchten Sie mit der Ausstellung erreichen, gerade im Hinblick auf die noch offene Aufklärung?
Mair: Ich möchte Debatten anstoßen. Unter anderem über den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft. Jahrelang wurde im falschen Teich gefischt und deshalb konnte die Mordserie an den überwiegend türkischstämmigen Migranten nicht aufgeklärt werden. Ich will eine Debatte über Vorurteile
und Rassismus in Behörden und Rassismus im Alltag. Ich will, dass die Verharmlosung der Naziszene endlich beendet wird. Neonazis zu ignorieren hilft nicht weiter.
ER-B: Was wünschen Sie sich an Reaktionen, auch von medialer Seite?
Mair: Ja, dass alle kommen, berichten, Fotos machen und vor allem die Mordopfer in ein anderes Licht rücken. Ich freue mich über mediales Interesse. In der Presse sieht man bei der Thematik häufig nur Fotos von Beate Zschäpe, die Opfer gehen meist unter. Die Presse soll die Ausstellung fotografieren und damit andere Bilder in die Öffentlichkeit bringen. Oder wie ein Anwalt eines Angehörigen gesagt hat: «Man soll sich ein anderes Bild machen können.»
ER-B: Am Ende des NSU – Untersuchungsausschusses sagte der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD), dass nicht alle Fragen abschließend beantwortet werden konnten. Sind auch für Sie noch Fragen offen – und wenn ja: haben Sie versucht, diese in Ihrer Ausstellung entsprechend zu berücksichtigen?
Mair: Unbedingt. Franz Schindler weiß, welche Fragen für mich und für viele andere immer noch nicht beantwortet worden sind. Wir haben darüber einen Dialog geführt: Beispielsweise dass die Unterlagen über die bayerischen V-Leute kurz vor Ende des Untersuchungsausschusses den Abgeordneten immer noch nicht zur Verfügung gestellt worden sind, das geht gar nicht. Unaufgeklärt ist auch der Bombenanschlag vom Juni 1999 auf eine kleine Kneipe in Nürnberg, die von einem türkischstämmigen Pächter betrieben worden ist. Was noch kein Untersuchungsausschuss beantwortet hat: Wie sah die Organisationsstruktur des NSU aus? Wir haben eine Ausstellungstafel über Hilfeleistungen aus dem neonazistischen Netzwerk an den NSU konzipiert, um damit die Frage nach einer Struktur wenigstens teilweise zu beantworten.
ER-B: Aufgrund der noch ungeklärten Fragen: Denken Sie, dass eine Fortsetzung des Ausschusses notwendig ist?
Mair: Das halte ich schon für wichtig. Es gibt noch viele offene Fragen, das haben wir auch zum Thema in der Ausstellung gemacht. Des Weiteren ist nicht aufgeklärt worden, weshalb die damalige Gaststätte „Tiroler Höhe“ in Nürnberg, der Neonazi Mathias Fischer und weitere bayerische Neonazis und ein V-Mann auf der Kontaktliste der NSU standen.
Hier hat im bayerischen NSU-Untersuchungsausschuss der Biss gefehlt, auch wenn einige wirklich um Aufklärung bemüht waren.
Vielen Dank für das Interview Frau Mair. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg mit Ihrer Ausstellung!
Die Ausstellung wird am Freitag, 8. November 2013 um 18 Uhr im Gewerkschaftshaus Nürnberg, Kornmarkt 2-4 eröffnet. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Eintritt frei. Spenden erbeten. Die Ausstellung wird vom 08. – 22. November in Nürnberg zu sehen sein und dann auf die Reise gehen.
Öffnungszeiten in Nürnberg: Montags bis Donnerstag 8.00 Uhr bis 17:00 Uhr, Freitag 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr; abends und am Wochenende nach vorheriger Vereinbarung. Führungen auch außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten können nach vorheriger Vereinbarung stattfinden. Der Begleitband zur Ausstellung kann über E-Mail an birgitmair@t-online.de oder ab 8. November 2013 im Erdgeschoss des Gewerkschaftshauses (beim K.I.B.S.) erworben werden.
Mehr Informationen: www.opfer-des-nsu.de (noch im Aufbau) sowie www.isfbb.de