20. Dezember: 50 Jahre Auschwitzprozess in Frankfurt/Main

Am 20. Dezember ist der 50. Jahrestag des Beginns des Auschwitzprozesses in Frankfurt/Main. Dass die Mörder von Auschwitz erst 18 Jahre nach der Befreiung des Lagers angeklagt wurden, zeigt, wie schwierig es war, überhaupt über Auschwitz Gericht zu halten. Dass dies gelang, ist vor allem dem damaligen Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu verdanken. Er trat im Nachkriegsdeutschland gegen alle Versuche, den Mantel des Schweigens über die Verbrechen der Nazis zu decken, für eine konsequente Verfolgung der Täter ein. Aber 50 Jahre nach Eröffnung des historischen Prozesses sind unzählige Verbrechen von Auschwitz, der «größten Menschen-Vernichtungs-Anlage aller Zeiten» (so der KZ-Kommandant Rudolf Höß in seinen autobiografischen Aufzeichnungen) noch immer ungesühnt.
Der Staatsanwalt
Es war eine bleierne Zeit im Wirtschaftswunderland der fünfziger und sechziger Jahre, was die Aufarbeitung der Naziverbrechen anging. Es wurde lieber unter den Teppich gekehrt, verschwiegen, nicht wenige ehemalige Nazis waren wieder in Amt und Würden, insbesondere Justiz, Verfassungsschutz und Geheimdienste waren mit alten Nazis durchsetzt. Es erforderte viel Mut und Durchhaltevermögen, dagegen anzugehen. Erst recht, wenn es darum ging, Nazis für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen. Diesen Mut hatte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ein ehemaliger Häftling setzte mit einer Anzeige das Auschwitz-Verfahren in Gang: bereits im Januar 1959 bekam Fritz Bauer von einem Journalisten Akten zugeschickt, die ein KZ-Häftling aus dem brennenden Breslauer Bezirksgericht mitgenommen hatte. Es waren Erschießungslisten aus dem Lager Auschwitz, die detailliert die Tötung von Häftlingen dokumentierten. Unterzeichnet waren sie vom Lagerkommandanten Rudolf Höß und dem Namenskürzel seines Adjutanten Robert Mulka.
Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, selbst Verfolgter des NS-Regimes, zog den Fall an sich und beantragte beim Bundesgerichtshof erfolgreich die Zuständigkeit dafür. Mit den Ermittlungen betraute er junge, unbelastete Staatsanwälte.
Der 1903 geborene Fritz Bauer musste während der Nazizeit als Jude und Sozialdemokrat nach Schweden emigrieren. Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik der Adenauerzeit misstraute er der Justiz, die durchsetzt war mit ehemaligen Nazis. Nur das Parteiabzeichen hatte bei vielen gewechselt. Als er erfuhr, dass sich Eichmann, der Organisator der Judenvernichtung, in Argentinien aufhielt, informierte er aufgrund dieses Misstrauens in die bundesdeutsche Justiz den israelischen Geheimdienst. Dadurch konnte Eichmann in Israel vor Gericht gestellt werden. Bauer war sich nicht sicher, ob das auch in Deutschland geklappt hätte. Mit dem Auschwitzprozess machte er sich viele Feinde. Aber auch mit den übelsten Schmähungen, mit Drohanrufen, Mord- und Bombendrohungen ließ er sich nicht einschüchtern: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland“ fasste er seine Situation zusammen. Fünf Jahre nach dem Beginn des Auschwitz-Prozesses wird Bauer tot in seiner Badewanne aufgefunden, was bis heute Anlass für Spekulationen ist.
Der Prozess
Heinz Düx, damals als Untersuchungsrichter am Frankfurter Landgericht für Auschwitz zuständig, erinnerte sich noch im Jahr 2004 im Newsletter des Bauer Instituts an vielfältige Versuche der Verfahrensbehinderung: «Es wurden zum Beispiel aus der Justiz inoffizielle Anregungen an mich herangetragen, für eine Reihe von Angeschuldigten die Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt zu verneinen. Offenkundig war es das Ziel solcher Anregungen, durch Verfahrenszersplitterung eine strukturelle Gesamtschau deutscher Verbrechen in den Vernichtungslagern des Ostens zu verhindern, nachdem das fast 20 Jahre nach 1945 bis Anfang der sechziger Jahre den Tätern und deren zahlreichen Sympathisanten gelungen war.»
Dank des Engagements von Fritz Bauer gelang es nicht, den Prozess zu verhindern: 22 Angeklagte standen ab
dem 20. Dezember in Frankfurt vor Gericht. 22 von Tausenden, die im Laufe der Jahre allein in Auschwitz die Vernichtungsmaschinerie der Nazis am Laufen hielten. Gerichtsort war zunächst der Plenarsaal des Stadtparlaments im Frankfurter Rathaus, dem Römer. Vorgesehen für den Prozess war das „Haus Gallus“, das aber nicht rechtzeitig fertig wurde, ab April 1964 wurde der Prozess dann dort fortgesetzt. Der Prozess endete im August 1965 nach 183 Verhandlungstagen. Die Hauptakten des Verfahrens umfassten 74 Bände, die Anklageschrift 700 Blatt. 356 Zeugen wurden vernommen, darunter 211 Überlebende des Vernichtungslagers.
Die Angeklagten
Vom Mai 1940 bis zum Januar 1945 waren etwa 8000 SS-Angehörige und ca. 200 SS-Aufseherinnen in Auschwitz eingesetzt. Gerade mal ungefähr 800 von ihnen mussten sich vor einem Gericht verantworten, etwa 650 vor polnischen Gerichten. In Deutschland standen einschließlich zweier Nachfolgeprozesse nur 36 SS-Angehörige vor Gericht.
In Frankfurt waren 22 ehemalige SS-Angehörige angeklagt, sich am schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte beteiligt zu haben. Mit dabei auch die Adjutanten des Lagerkommandanten Roland Mulka und Karl Höcker.
Alle Angeklagten hatten große Erinnerungslücken und beriefen sich darauf, immer nur „Befehle ausgeführt“ zu haben. Mulka versuchte dem Gericht zu erklären, dass er als Adjutant des Lagerkommandanten nichts von der Vernichtung der Menschen in den Gaskammern gemerkt haben wollte. Kein einziger Angeklagter hatte ein Wort des Bedauerns für die Opfer übrig, kein einziger zeigte auch nur den Hauch von Reue. So führte der Angeklagte Boger in seinem Schlusswort aus: „Während der nationalsozialistischen Herrschaft gab es für mich nur den Gesichtspunkt, die gegebenen Befehle des Vorgesetzten ohne Einschränkung auszuführen.“ Alle Angeklagten haben angeblich nichts gewusst, nichts gehört, nichts gemerkt.
Zehn Angeklagte wurden zu Haftstrafen zwischen dreieinhalb und sieben Jahren verurteilt wegen „Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord“. In einem Fall lautete das Urteil auf 14 Jahre. Ein Angeklagter erhielt eine zehnjährige Jugendstrafe: er war erst 19 Jahre alt, als er in Auschwitz mordete. Drei Angeklagte wurden freigesprochen und der Lagerarzt Franz Lucas entging im Revisionsprozess einer Verurteilung. Sechs Angeklagte wurden zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Drei der sechs Hauptangeklagten starben später in der Haft, drei andere wurden vorzeitig entlassen. Im Dezember 1965 begann vor dem Landgericht Frankfurt am Main der zweite Auschwitzprozess, dem bis 1974 drei weitere folgten.
Aus der mündlichen Urteilsbegründung des Gerichts:
„Es ist nun hier wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, dass es nur die kleinen Leute seien, die hier vor Gericht ständen. Wie bereits zu Anfang gesagt wurde, sind jedoch diejenigen, die das Gesamtgeschehen an den Schreibtischen geplant und befohlen haben, zum größten Teil nicht mehr unter den Lebenden. Hitler, Himmler, Göring, Heydrich, Liebehenschel, Pohl, Baer, Höß, Grabner und eine andere Anzahl von SS-Leuten und Ärzten, wie Doktor Entress, Doktor Klein, sind bereits entweder durch den Richterspruch verurteilt oder durch den Freitod aus dem Leben geschieden. Damit aber blieben nur noch die übrig, die nicht in leitender Stellung waren. Und es wäre auch ein Fehler, zu sagen, dass die kleinen Leute deshalb nicht schuld seien, weil sie selbst das ganze Geschehen nicht eingeleitet haben. Sie waren genauso nötig, um den Plan der Vernichtung der Menschen in Auschwitz durchzuführen, wie diejenigen, die am Schreibtisch diesen Plan entworfen haben.“
Und weiter:
„Das Gericht musste in 20 Monaten der Prozessdauer noch einmal im Geiste all die Leiden und die Qualen erleben, die die Menschen dort erlitten haben und die mit dem Namen Auschwitz auf immer verbunden sein werden. Es wird wohl mancher unter uns sein, der auf lange Zeit nicht mehr in die frohen und gläubigen Augen eines Kindes sehen kann, ohne dass im
Hintergrund und im Geist ihm die hohlen, fragenden und verständnislosen, angsterfüllten Augen der Kinder auftauchen, die dort in Auschwitz ihren letzten Weg gegangen sind.“
Die meisten Angeklagten wurden aber nur als Gehilfen, nicht als Täter verurteilt, sie erhielten angesichts der begangenen Verbrechen nur milde Strafen. Generalstaatsanwalt Bauer ging in die Revision, diese wurde abgelehnt, die milden Urteile damit bestätigt.
50 Jahre danach
Der Auschwitzprozess führte dazu, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft ihre Augen nicht mehr vor den Verbrechen der Nazis verschließen konnte. Es wurde deutlich, dass die Verbrechen nicht nur dem Führungspersonal der Nazis, das im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess vor Gericht stand, zugeordnet werden konnten, sondern dass die Verbreche nur möglich waren, weil viel zu viele dies aktiv unterstützten.
Es waren viele Tausende, die zum Funktionieren der industriell organisierten Menschenvernichtung in Auschwitz und anderen Lagern beitrugen. Tausende, die sich nie vor einem Gericht für ihr mörderisches Tun verantworten mussten. Trotzdem wird es demnächst wohl weitere Prozesse gegen einzelne Täter geben: Die Vorermittlungen gegen 30 ehemalige Auschwitz-Wächter sind abgeschlossen. Der älteste Beschuldigte ist 97 Jahre alt. Er konnte ein langes Leben genießen. Und wer meint, man solle die Täter wegen ihres hohen Alters nicht mehr vor Gericht stellen: sie hatten damals keine Gnade mit ihren Opfern, die Transportlisten für das KZ Auschwitz umfassten alle Altersgruppen, vom Säugling bis zum Greis, sie wurden dort auf brutale Art und Weise umgebracht: Keiner der Täter hat auf das Alter der Opfer Rücksicht genommen.
Weitere Informationen zum Prozess sowie Ton- und Textdokumente der Zeugenaussagen unter: www.auschwitz-prozess.de