Oktoberfest-Attentat wird von Bundesanwaltschaft neu aufgerollt

34 Jahre nach dem schwersten Bombenanschlag in der Geschichte der Bundesrepublik nehmen die deutschen Behörden die Ermittlungen wieder auf. Bisher galt der rechtsextreme Student Gundolf Köhler als Einzeltäter. Auslöser der neuen Entwicklung soll eine neue Zeugin sein.
Als die Bombe mit fast 1,5 Kilogramm TNT am Abend des 26. Septembers 1980 vor dem Haupteingang des Oktoberfestes explodiert, 13 Menschen in den Tod reißt und über 200 teils schwer verletzt, blicken die Behörden zunächst nach links. Dass es rechten Terrorismus in der Bundesrepublik gibt, ist der Bevölkerung weit weniger präsent als die Taten der Roten Armee Fraktion, obwohl braune Terrorzellen und selbsternannte Werwölfe bereits zu diesem Zeitpunkt ähnlich viele Menschenleben auf dem Gewissen haben.
Im August 1980 begannen die bis dahin blutigsten Wochen in der Geschichte des rechten Terrorismus, bilanzieren Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem Buch „Heimatschutz“. Zwei Vietnamesen sterben an den Folgen eines Brandanschlags auf ihre Unterkunft, begangen von zwei Mitgliedern der Deutschen Aktionsgruppen.
Hickhack um Wehrsportgruppen
Schnell wird auch in München klar, dass der oder die Täter im politisch rechten Lager beheimatet waren. Eine brisante Information, stand doch wenige Tage danach, am 5. Oktober, die Wahl zum Deutschen Bundestag an. Der Kanzlerkandidat der Union und bayerische Ministerpräsident, Franz Joseph Strauß, hatte im emotionsgeladenen Wahlkampf immer wieder die Gefahr von links betont, während die bayerischen Behörden um Innenminister Gerold Tandler Gefahren etwa durch die Wehrsportgruppe um Karlheinz Hoffmann (WSG) herunterspielten. Sie wurde am 30. Januar 1980 vom Bundesinnenminister Gerhart Baum – nach einem behördeninternen Hickhack um Zuständigkeiten für die hauptsächlich in Bayern agierende WSG – verboten und aufgelöst.
Sechs Jahre konnten dort Neonazis mehrere hundert Anhänger an Waffen ausbilden und ideologisch schulen. Gundolf Köhler war einer von ihnen. Er hatte selbst einen längeren Briefwechsel mit Karlheinz Hoffmann, wollte in seinem Heimatort Donaueschingen eine Ortsgruppe der WSG aufbauen und hat laut Hoffmanns Aufzeichnungen an zwei Übungen teilgenommen.
Bequeme These vom isolierten Einzeltäter
Laut den offiziellen Ermittlungen wird Köhler als sozial isolierter Einzeltäter dargestellt, der die Bombe selbst gebaut, transportiert und auch gezündet haben soll und dabei ums Leben kam.
Dieses Ergebnis ist in der Katastrophe das denkbar angenehmste Erklärungsmuster für Polizei und Verfassungsschutz, ist doch ein Täter, der allein handelt, niemanden von seinen Plänen erzählt, keine Helfer braucht, quasi nicht zu ertappen und so ein Anschlag nicht oder nur durch Zufall zu verhindern. Fragen nach Fehlern oder dem Versagen beispielsweise des Inlandsgeheimdienstes stellen sich so nicht.
Ähnlich bequem ist die Darstellung des NSU als abgeschlossene Terrorzelle mit verschworenen Mitgliedern, die quasi autark gelebt und gehandelt haben soll und denen trotz der Durchsetzung der rechten Szene mit V-Leuten nicht auf die Schliche zu kommen war.
Aber ähnlich beim „Zwickauer Terrortrio“ gab und gibt es auch im Fall Köhler deutliche Hinweise gegen die bequeme These. Zeugen berichteten von mehreren Personen im Umfeld des Attentäters kurz vor der Explosion. Mehrere Umstände in seinem Leben widersprechen der These vom lebensmüden Bombenbastler. Asservate und DNA-Spuren, die mit heutigen Mitteln hätten ausgewertet werden können, wurden von Behördenseite vernichtet, weil die Tat als aufgeklärt galt.
Zuletzt berichtete die Süddeutsche Zeitung von einer neuen Zeugin, die einen Tag nach dem Attentat auf einen Nachruf auf Köhler gestoßen sein will, als sie in einer Unterkunft für Aussiedler, in der sie Sprachkurse gab, versehentlich den falschen Schrank geöffnet hatte. Ihre Aussagen gaben laut Generalbundesanwalt Range mit den Ausschlag für die Entscheidung. Man wolle aber allen Ansatzpunkten nachgehen.
Man ist es den Opfern schuldig, alle Täter zu ermitteln
Franz Schindler (SPD), Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Bayerischen Landtags begrüßte die Entscheidung. Man sei es den Opfern schuldig, dass alle Täter von 1980 ermittelt und bestraft werden. Florian Ritter, Rechtsextremismus-Experte der SPD-Landtagsfraktion dankte ebenso wie seine Kollegin Katharina Schulze (Grüne) den zahlreichen Einzelpersonen und Initiativen, namentlich Opferanwalt Werner Dietrich und dem BR-Journalisten Ulrich Chaussy, die sich jahrelang für eine Wiederaufnahme eingesetzt hatten, neue Beweise sammelten und von den Ermittlungsbehörden nicht beachteten Hinweisen auf weitere Täter nachgingen.
Endlich! Die #Bundesanwaltschaft nimmt die #Ermittlungen zum #Oktoberfestattentat wieder auf.
Heulen könnte ich…
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— Florian Ritter (@Roter_Ritter) 11. Dezember 2014
Ihre Bemühungen wurden im Kinofilm „Der blinde Fleck“ nachgezeichnet. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter nannte die Nachricht ein wichtiges Signal, auf das er immer gehofft, aber nicht mehr gerechnet hätte.