Geschichtsrevisionismus – Platzregen störte SS-Gedenken im Berchtesgadener Land

Etwa 40 Personen kamen am Samstag zu einer geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltung mit antisemitischen Tönen nahe Bad Reichenhall zusammen. In den Reden wurde schnell klar, dass es hier nicht primär um ein Gedenken an Verstorbene ging, sondern dem NS-System insgesamt nachgetrauert wurde. Ein Platzregen blieb die einzige Störung der ritualhaft abgehaltenen Zusammenkunft.
Die Geschichte, die Anlass für die alljährliche Veranstaltung bietet, ist eigentlich schnell erzählt und nur eine Randepisode der Umbruchszeit gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Zwölf französische Staatsbürger, die sich der Division „Charlemagne“ der Waffen-SS angeschlossen hatten, wurden nach einem gescheiterten Fluchtversuch – allerdings ohne Gerichtsurteil erschossen. Die Täter waren Landsleute, die auf der Seite der Alliierten kämpften. Gerade Angehörige von Himmlers „Schwarzem Korps“ wurden gegen Kriegsende Ziel von Lynch- und Racheaktionen. Zu präsent waren den alliierten Soldaten noch die Eindrücke aus der Befreiung der Konzentrationslager.
Vorausgegangen waren auch zahlreiche Massaker der SS an bereits gefangengenommen Soldaten der westlichen Anti-Hitler-Koalition, etwa an kanadischen Streitkräften in der Nähe von Caen kurz nach der Landung oder das Malmedy-Massaker während der Ardennen-Offensive. Diese lokalen Exzesse alliierter Truppen sind aber in keinster Weise mit den planmäßig durchgeführten Massenerschießungen etwa der Einsatzgruppen vergleichbar.
Bedeutung erlangte das Gedenken am Ort der Erschießung nahe der Kaserne bei Bad Reichenhall auch deshalb, weil hier Ewiggestrige und die lokale Bevölkerung lange gemeinsam gedachten. Noch heute gibt es auf dem Friedhof der Kurstadt eine größere Gedenkstätte für die zwölf Kollaborateure.
Dieses Jahr waren die Geschichtsrevisionisten – wie schon 2014 – wahrscheinlich wieder nur unter sich. Die Teilnehmer nahmen vereinzelt größere Anfahrtswege auf sich, wie etwa die Rednerin Edda Schmidt, ehemalige Vorsitzende der NPD-Frauenorganisation, die aus Baden-Württemberg in den Südosten des Freistaats reiste. Auch ein Auto aus Coburg wurde von der Polizei neben lokalen und österreichischen Kennzeichen der Veranstaltung zugeordnet. Vor allem Aktivisten der neonazistischen Partei Die Rechte waren vor Ort. Phillip Hasselbach aus München war einer der Hauptredner. Im Gepäck hatte er den mittelfränkischen Neonazi Dan Eising, Verantwortlicher für die dortige Rechte und Nügida. Wie bei fast allen Aktionen von Hasselbach folgte auch dieses Mal wieder Peter Meidl dem Aufruf. An dessen Person hatte sich in den vergangenen Wochen die Diskussion festgemacht, wie rechtsoffen der Münchner Pegida-Ableger agiere. Am Samstag reckte er seinen Mittelfinger samt Ring in Form eines Eisernen Kreuzes provozierend in die Kameras. Neben Meidl war auch noch mindestens ein anderer regelmäßiger Bagida-„Spaziergänger“ mit vor Ort.
Antisemitische Töne und Anspielungen
Uwe Brunke, ehemaliger NPD-Funktionär aus dem benachbarten Landkreis Traunstein, beklagte gleich zu Beginn wieder die Auflagen und Gesetze, die ihn als Organisatoren und die Redner im geplanten Gedenken einschränken würden. Es bleibt der Fantasie überlassen, wie die Zusammenkunft aussehen könnte, würden Paragrafen nicht zumindest den wichtigsten Symbolen und Grußformeln der NS-Zeit und den gröbsten Hetzreden einen Riegel vorschieben.
Das, was letztendlich gesagt wurde, war dennoch entsprechend eindeutig. Um die französischen Soldaten ging es nur am Rande. Gleich zu Beginn wurde die Waffen-SS
als angebliche „europäische Verteidigungsarmee“ gepriesen. Die vermeintlichen Gegner der rechtsextremen Europa-Idee der Vaterländer waren auch schnell benannt. Brunke spielt hier mit den antisemitischen Anspielungen einer „Weltplutokratie“, eines „Finanzkapitalismus“ der „US-Ostküste“ mit Filialen in Brüssel und Berlin. Hasselbach wurde in seinen Ausführungen noch deutlicher, als er die Gegner als „Krummnasen“ bezeichnete und sich damit in die Tradition der Darstellungen des NS-Hetzmagazins „Der Stürmer“ stellte.
Das damalige Deutschland war für Brunke ein „Leitstern Europas“ und kein Aggressor, sondern „Bollwerk“ gegen „plutokratische Kreaturen“. Eine vom Veranstalter aufgestellte „Informationswand“ spannte diese angebliche Verteidigung weit über das Kriegsende hinaus und über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP sogar bis in die Gegenwart. Für eine deutsche Kriegsschuld ist in diesem Weltbild kein Platz. Laut Brunke hätten „seriöse, internationale Historiker“, die er allerdings nicht nannte oder zitierte, die Kriegsschuldfrage gelöst und nur „ein Narr, ein Umerzogener oder völlig geistig Degenerierter“ würden heute angeblich noch von einer „Alleinschuld Deutschlands“ sprechen. Die deutschen Verbrechen relativierend sprach der Versammlungsleiter davon, die Amerikaner hätten diese in der Folge noch übertroffen.
Wettergott wurde Geschichtsrevisionisten untreu
Umrahmt wurde die Veranstaltung durch zwei Gedichte, die Edda Schmidt und Brunkes Ehefrau vortrugen. Beide sollten die anwesenden Anhänger um Widerstand motivieren. Viele, im zweiten Gedicht als Spießer bezeichnete Mitbürger, auch aus dem „nationalen Lager“ würden nicht wie zwölf Franzosen bis zum Tod kämpfen wollen, beschwor Brunke einen gefährlichen Opfermythos. Auch ein Kind an einer Trompete wurde wieder funktional in das Gedenken eingebunden, auch wenn das Instrument zunächst gestreikt hatte. Während des Liedes „Wenn alle untreu werden“ setzte dann starker Regen am abgelegenen Waldgrundstück ein und zwang die Teilnehmer unter den Pavillon und unter die Regenschirme. Das Lied aus der Zeit der Napoleonischen Kriege fand auch bei der SS größeren Anklang und wurde an exponierter Stelle in deren Liederbuch abgedruckt.
Nach Ende der Veranstaltung verluden die Teilnehmer die eigens wieder mitgebrachte mobile Gedenkstätte und begaben sich in Richtung Stadt, um am Friedhof in Kleingruppen Kränze niederzulegen. Ein geschlossenes Aufmarschieren würde die eigens geänderte Friedhofsordnung untersagen. Das, der Regenguss, das biestige Instrument und eine Polizei, die jederzeit den Ewiggestrigen zu verstehen gab, genau hinzuschauen und zu hören, waren die einzigen Formen lokalen «Widerstands» an dem Nachmittag. Eine Gegenveranstaltung antifaschistischer Gruppen gab es in diesem Jahr nicht. Am Vortag hatte sich laut Polizeiangaben die regionale Kameradschaftsszene am selben Ort zu einem eigenen Gedenken versammelt. Abgebrannte Fackeln im nahen Abfalleimer dürften Überbleibsel der Veranstaltung gewesen sein.