Entwurf zum GrundsatzprogrammAfD Niederbayern: Ein Fall für den Verfassungsschutz?

Bezirksvorsitzender Stephan Protschka bei AfD-Demo in Freilassing (Archiv)

Große Aufmerksamkeit zog die AfD in Niederbayern mit ihrem alternativen Entwurf für ein Grundsatzprogramm der Partei auf sich. Die kritischen Passagen zum Islam stammen allerdings aus einem nicht offiziellen Papier der Programmkommission der Bundespartei. Wie nah sich die Religions-Passagen an der Verfassungsfeindlichkeit bewegen, zeigt ein Vergleich mit einem Urteil zu den Thesen des Islamhassers Michael Stürzenberger.

Die AfD will Ende April auf einem Parteitag in Stuttgart ihr erstes Grundsatzprogramm verabschieden. Das Thema „Verhältnis zum Islam“ gilt als einer der möglichen Schwerpunkte, mit denen sich die Partei auch abseits des Themas Flüchtlinge präsentieren könnte. Die AfD in Südostbayern legte als weitere Diskussionsgrundlage ein unter dem hochtrabenden Titel „Mut zur Verantwortung“ veröffentlichtes, 49-seitiges Papier vor. Schnell machte die Runde, es handele sich um einen Gegenentwurf des völkischen Flügels um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Auch soll sich der bayerische Landesvorsitzende Petr Bystron wegen manch radikaler Aussagen davon distanziert haben. Beides wird mittlerweile von Seiten der Spitzen in Bayern und im Bezirk dementiert.

Höcke und Bytron bei Demo in Nürnberg – hat der Thüringer bayerischen Parteifreunden Inhalte eingeflüstert? Niederbayern dementiert die Medienberichte

In den eigenen Vorschlag wurden offenbar Passagen aus einem nicht offiziellen Entwurf der Programmkommission, so der Bezirk in einer Pressemitteilung. Die „Zitate“ seien blau gekennzeichnet, eigene Ideen hingegen schwarz. Damit sind die kritischen Passagen zur Religionsfreiheit, wie schon die Zeitung Die Welt in einem Artikel bemerkte, wahrscheinlich der Bundesspitze zuzuordnen, auch wenn einige Passagen im mittlerweile offiziellen Entwurf wieder fehlen. Den Bezirk, der sich das Papier zu eigen gemacht hat, aber rücken diese Ausführungen in die Nähe von vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtete Islamhasser.

AfD Niederbayern auf den Spuren von Michael Stürzenberger

Unter der Maxime „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ breiten die Niederbayern auf Seite 12 radikale Forderungen aus: Minarette und Muezzinrufe sollten verboten, Moscheen und Koranschulen geschlossen, Schächten und die rituelle Beschneidung von Jungen untersagt werden, was auch das Judentum träfe. Der Islam und nicht der Islamismus wird als verfassungsfeindlich denunziert, da er die Weltherrschaft anstrebe. Die Nähe der Thesen zu Inhalten von Pegida und Islamhassern ist nicht von der Hand zu weisen.

Pegida-Sicht auf den Islam bei Wügida in Würzburg – auch die AfD Niederbayern verwendet diese Parole

Auf der Facebook-Seite des Bezirks versucht dessen Vorsitzender Stephan Protschka die Wogen zu glätten. Der Artikel 4 des Grundgesetzes solle lediglich um eine Klausel, die Verfassungstreue zur Bedingung für die freie Religionsausübung mache, ergänzt werden. Muslimische Verbände sollten sich nach den Worten Protschkas „eindeutig von entsprechenden Suren distanzieren“.

Sich selbst sieht der AfD-Funktionär auf dem Boden der Verfassung. In der Vergangenheit kamen Gerichte aber zu der Auffassung, dass fast wortgleiche Forderungen
gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen belegten. 2015 bestätigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass sowohl ihrem Vorsitzenden Michael Stürzenberger, als auch dem Landesverband der Partei Die Freiheit attestiert werden könnte, sie richteten sich gegen die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit und rechtfertigten eine Nennung im Verfassungsschutzbericht.

Was schützt die Religionsfreiheit?

Das Grundrecht schütze nicht nur die innere Freiheit, einen Glauben zu haben oder nicht, ihn zu verschweigen oder sich davon loszusagen, sondern ebenso die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden, zu verbreiten, dafür zu werben, andere von ihren Glauben abzuwerben und alle dazugehörigen kultischen Handlungen, wie das gemeinsame Gebet. Schon in seinem Beschluss vom 30. Juli 2015 (Aktenzeichen 10 ZB 15.819) sah der Zehnte Senat des Verwaltungsgerichtshofs in der Forderung Stürzenbergers nach Schließung von Moscheen und Koranschulen einen nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Eingriff in die Religionsfreiheit. Im Entwurf der AfD Niederbayern ist die Passage blau, stammt mutmaßlich also aus den Reihen der Programmkommission.

Abschwören verletzt sogar Wesensgehalt des Grundrechts

Ähnlich wie Protschka forderte Stürzenberger muslimische Verbände auf, sich von gewissen, von ihm als verfassungsfeindlich angesehenen Inhalten zu distanzieren. Wer dies nicht leisten wolle, solle verboten werden. Auch Pegida in Dresden hatte 2015 in einem medial kaum beachteten Beitrag entsprechende Forderungen via Facebook an muslimische Organisationen erhoben.
Anders als Stürzenberger fordert die AfD Muslime allenfalls zwischen den Zeilen und nicht explizit zur Ausreise auf. Die von der AfD Niederbayern vorgegebenen Rahmenbedingungen, etwa bei Speisevorschriften, dürften jedenfalls ein nach strengen muslimischen Glaubensgrundsätzen geführtes Leben unmöglich machen.

Auch in der Bewertung dieser erhobenen Forderungen waren die Verwaltungsrichter deutlich. Schrieben staatliche Stellen einer religiösen Gemeinschaft den Inhalt ihrer Glaubensgrundsätze vor, greifen sie sogar in den Wesensgehalt des Grundrechts ein. Artikel 19 Absatz 2 verbietet derartige Verfassungsänderungen. Die vom AfD-Vorsitzenden aus Niederbayern vorgeschlagene Ergänzung wäre somit selbst verfassungswidrig.

Stürzenberger und eine seiner These – staatliche Zensur von Glaubensinhalten verletzt Wesensgehalt des Grundrechts – Foto: Kundgebung Die Freiheit in Pfaffenhofen

Im Namen des Grundgesetzes gegen ein Grundrecht?

Ähnlich wie die AfD hatte sich Stürzenberger darauf berufen, er verteidige lediglich das Grundgesetz und wolle der Religion die Grenzen setzen, die die Verfassung angeblich selbst ziehe. Aber von dieser Argumentation ließ sich der Senat nicht blenden. Einschränkungen seien erst gerechtfertigt, „wenn die betreffenden Glaubensüberzeugungen sich in einem entsprechenden Verhalten äußern, das mit den Grundrechten Dritter oder Gemeinschaftswerten von Verfassungsrang nicht zu vereinbaren ist. Insbesondere ist ein Verbot von Glaubensgemeinschaften, die dem Staat und seiner Verfassungs- und Rechtsordnung kritisch gegenüberstehen, nur möglich, wenn es bei der Abwägung mit den Verfassungsgütern, die mit dem Verbot geschützt werden sollen, nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unerlässlich ist.“

Das soll bedeuten, dass es für die rechtliche Bewertung einer Religion egal ist, was in Heiligen Büchern steht oder von Propheten verkündet wurde, solange die tatsächlichen Handlungen nicht der verfassungsmäßigen Ordnung zuwiderlaufen. Und hier widerlegt die Lebensrealität der Muslime in Deutschland Hetzer wie Stürzenberger oder auch das AfD-Papier Tag für Tag.

Anderseits bestätigten die Richter, dass Verfassungsfeinde auch dann
Verfassungsfeinde sind, wenn sie angeblich im Namen des Grundgesetzes agieren und vom Staat Handlungen einfordern, die gegen die Menschen- und Bürgerrechte gerichtet sind.