Neue Rechte – Identitäre Bewegung: Ein Netzphänomen ist auf Bayerns Straßen angekommen

Aktivisten der „Identitären Bewegung“ treten in Bayern zunehmend mit öffentlichen Aktionen in Erscheinung. Nun liefert eine parlamentarische Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Georg Rosenthal einen ersten umfassenden Überblick über die Umtriebe im Freistaat.
Die „Identitäre Bewegung“ (IB) war in Bayern anfangs nicht mehr als ein rechtes Internetphänomen unter vielen. Nach der Gründung einiger Auftritte in den Sozialen Medien beschränkten sich deren Aktionen zunächst auf die übliche Propaganda und die Verbreitung von Inhalten ähnlicher Gruppen. Dabei setzten die Strategen der IB vorwiegend auf ein jugendaffines Auftreten und eine moderne Sprache, um mit Anspielungen auf die Popkultur Jugendliche und junge Erwachsene als Hauptzielgruppe anzusprechen. Mit dieser Taktik wollte sich die IB trotz ihrer rassistischen Überzeugung, die sich im Wesentlichen die Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten zum Vorbild nimmt, als moderne und zeitgemäße Aktionsform präsentieren.

Doch im Laufe der Zeit blieben die Aktivitäten nicht mehr alleine auf die Sozialen Medien begrenzt. Spätestens ab Anfang 2015 traten die Personen hinter der IB vermehrt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung und führten wiederholt eigene Veranstaltungen durch. Inzwischen verfügt die Organisation mit der IB Bayern, der IB Franken und der IB Schwaben über drei Dachorganisationen, die ihrerseits auf weitere lokale Verbände zurückgreifen können. Deren Kader richteten seit Beginn der verstärkten Kampagnen insgesamt 90 Aktionen in den Regierungsbezirken Mittelfranken, Oberpfalz, Oberfranken, Schwaben, Unterfranken und Oberbayern aus. Das geht aus einer schriftlichen Anfrage des SPD-Abgeordneten Georg Rosenthal hervor, die dieser im Juli 2016 an das Innenministerium gestellt hat. Sie liefert einen ersten umfassenden Überblick über die Umtriebe der IB, die sich in 66 Propagandaaktionen und in 24 Kundgebungen oder Versammlungen zwischen Januar 2015 und Juli 2016 untergliedern.
Unterfranken und Oberbayern als Spitzenreiter
Spitzenreiter unter den Bezirken waren demnach Unterfranken und Oberbayern. Dort fanden seit 2015 17 beziehungsweise 52 politische Aktionen der IB-Bayern statt, darunter fünf Versammlungen und 12 Propagandaaktionen in Unterfranken sowie 12 Versammlungen und 40 andere Aktionen in Oberbayern. Vor allem im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise haben sich die Aktivtäten der rechten Organisation verstärkt, was sich speziell in mehreren Kundgebungen unter dem Motto „Wir sind Grenze“ ausdrückt. Diese Aktionen führte die IB-Bayern im Zeitraum von Dezember 2015 bis Februar 2016 gleich dreimal im oberbayerischen Freilassing durch, um die deutsche Grenze gemäß ihrer ethnopluralistischen Ideologie symbolisch gegen Flüchtlinge zu schließen. Neben den Anhängern der IB beteiligten sich an der Demonstration jeweils auch bekannte Figuren der extremen Rechten, die den neonazistischen Parteien NPD und „Der III. Weg“ sowie der „Kameradschaft Berchtesgadner Land“ zuzurechnen waren.

Darüber hinaus liefert die parlamentarische Anfrage erste oberflächliche Einblicke hinsichtlich der Kooperationen, die der bayerische Ableger der IB sowohl bundesweit als auch international unterhält. Regelmäßig bemühe sich demzufolge die extrem rechte „Burschenschaft Danubia München“ und deren Schülerverbindung „PB! Saxonia-Czernowitz“ um Kontakte zu der IB. So mobilisierten die beiden Organisationen für die „Wir sind Grenze“-Aktion in Freilassing, beteiligten sich mit eigenem Personal an der Veranstaltung und berichteten im Nachgang auf Facebook über ihre Teilnahme. Außerdem nahm die IB selbst mindestens sechs Mal an den Aktionen von „Pegida München“ teil, pflegt „Kontakte zur Identitären Bewegung im gesamten Bundesgebiet“ und ins europäische Ausland. Engere europäische Kooperationen bestehen laut der Auskunft des Ministeriums insbesondere zu der IB Österreich, ohne dass die Art und der Umfang der internationalen Verbindungen in der Anfrage näher spezifiziert werden.

Allgemein weist die Antwort des Ministeriums Wissenslücken auf, was die Anzahl der Aktivisten und die genaueren Strukturen der IB anbelangt. Diese Erkenntnisse liegen aufgrund des konspirativen Vorgehens der Gruppierung aktuell noch nicht vor und müssen im nötigen Umfang noch gewonnen werden, heißt es in dem Dokument: „Seriöse Erkenntnisgewinnung und –erhebung benötigt Zeit. Belastbare Erkenntnisse können daher erst nach einem längeren Beobachtungszeitraum veröffentlicht werden.“ Tatsächlich beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz die IB-Bayern erst seit dem 21. Januar 2016, nachdem es bereits lange zuvor entsprechende Forderungen aus der Zivilgesellschaft gegeben hatte. Ausschlaggebend für die offizielle Überwachung war letztlich eine „starke Nähe zum biologistischen Denken und der völkischen Ideologie von Rechtsextremisten“, die der „Ethnopluralismus“ der IB-Bayern aufweist.
Rosenthal: Demokraten sind gefordert
Georg Rosenthal sieht in der IB dementsprechend eine besondere Gefahr. Er hatte die Anfrage gestellt, als die rassistische Bewegung im Freistaat verstärkt Fuß zu fassen versuchte, und wollte Aufklärung über deren konkretes Vorgehen. Seiner Einschätzung nach bemühe sich die IB durch eine Verschleierungstaktik, eine „neue Form des Rechtsextremismus“ salonfähig zu machen, die einen klar „völkischen Charakter“ habe. „Der Kern der Botschaft ist antidemokratisch“, sagt Rosenthal im Gespräch mit Endstation Rechts. Bayern. „Es wird versucht, die Geschichte umzuschreiben und Worte, die in einer demokratischen Debatte keinen Platz haben, wieder zu nutzen.“ Dies zeige sich beispielsweise an Begriffen wie „Umvolkung“ oder „völkisch“, die trotz ihres eindeutigen Ursprungs in dieser Szene zum Repertoire gehören würden.

Gerade vor dem Hintergrund, dass Jugendliche und junge Erwachsene eine der Hauptzielgruppen sind, wünscht sich Rosenthal eine intensivere Beschäftigung mit der rassistischen Organisation an Schulen und Hochschulen. Er spielt damit auf zwei Vorfälle an, die sich an den Universitäten Würzburg und Regensburg ereigneten. An den beiden Hochschulen hatten Aktivisten Plakate mit ihren Flyern überklebt beziehungsweise erfolglos eine Veranstaltung zu stören versucht, die sich mit nationalistischen Tendenzen innerhalb der EU beschäftigte. Der Abgeordnete appelliert angesichts solcher Aktionen an Hochschulgruppen und Studierendenverbände, sich aktiv gegen die IB zu engagieren. Sie müssten diese Aufgabe als Demokraten leisten.
Zudem sollten die Präsidenten und Kanzler der Universitäten umfassend über die Pläne der IB informiert werden, betont Rosenthal. In dem Zusammenhang würde er sich freuen, wenn diese sich mit ihrer Rolle in der Demokratie befassen und womöglich einen Beschluss fassen, der die IB als das „brandmarkt“, was sie in Wahrheit ist — eine rechtsextreme Organisation. Denn gegen deren Umtriebe helfe lediglich „der aufrechte Gang der Demokraten“, sagt Rosenthal. „Man darf sich nicht zurückziehen und wegducken, sondern es braucht mehr Aktivität.“