München ist bunt / Bellevue di MonacoMehrere tausend Münchner stellen sich gegen versuchten Pegida-Neustart

Zwei von zahlreichen Schildern gegen den Pegida-Aufmarsch in München

Unter dem Motto „Die Ärzte kommen“ riefen „München ist bunt“ und das Projekt „Bellevue di Monaco“ zu Protesten gegen eine Veranstaltung von Pegida Dresden in der Landeshauptstadt auf und verbanden den Protest mit einer öffentlichen und offenen Chorprobe gegen Menschenfeindlichkeit. Lutz Bachmann dagegen verbrachte einen Großteil der eigenen Kundgebung im Bus. Am Ende fanden sich innerhalb der Absperrung keine 200 Anhänger ein.

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„Die Ärzte kommen – Fürchtet euch nicht Pegida – wir helfen euch Heim – Lassen Sie uns durch, wir singt Arzt“ lautete der Aufruf in seiner langen Form. Grund für den Appell war eine angemeldete Versammlung von Pegida Dresden. Ziel der Organisation um Lutz Bachmann war es offenbar, auch im Westen wieder größere Proteste zu etablieren. Wahrscheinlich kratzt das doch gehörig am Selbstbewusstsein und nationalistischen Selbstverständnis des selbsterklärten „Volkes“, dass die größten einwanderungs-, flüchtlings- und islamfeindlichen Demonstrationen mit Dresden und zuletzt Cottbus recht(s) einseitig im Land verteilt sind. Die aus AfD-Kreisen initiierten Demonstrationen im rheinland-pfälzischen Kandel folgen ebenfalls dieser Intention.

Groß sind in München nur die Gegendemonstrationen gegen menschenfeindliches Gedankengut

Während auf Seiten der Organisatoren der Proteste gegen Pegida durchaus selbstkritisch mit dem benutzen Bild aus der Medizin umgegangen wurde und die befürchtete Pathologisierung des politischen Gegners mit viel Augenzwinkern in einen satirischen Aufruf verpackt wurde, kannte später am Marienplatz hier besonders Michael Stürzenberger keinerlei Hemmungen, mit Blick auf die Gegenseite von Krankheiten zu sprechen, deren Heilung „Pegida“ sei, immer wieder auch das Bild einer „Islamisierung“ predigend.

Oberbürgermeister: Vielfalt prägt das Lebensgefühl der Stadt

In Erwartung der von Bachmann und Stürzenberger bekannten menschenfeindlichen Töne, luden „Bellevue die Monaco“ und „München ist bunt“ zum gemeinsamen Singen auf den Max-Josephs-Platz ein. In dem eigens verteilten Liederbuch fand sich ein buntes Potpourri an klassischen Stücken wie die „Ode an die Freude“ oder der Gefangenenchor aus Nabucco, das Partisanenlied „Bella Ciao“, sowie aus dem Popbereich „Imagine“ von John Lennon. Natürlich durfte auch „Schrei nach Liebe“ von der Band Die Ärzte nicht fehlen. Zu der Veranstaltung, zu der gut 2.000 Menschen kamen, meldeten sich auch über 30 Chöre aus der Stadt und Umland Münchens.
Oberbürgermeister Dieter Reiter gab den Chorleiter.

Blick auf die Veranstaltung «Die Ärzte kommen» am Max-Joseph-Platz

In seiner kurzen Ansprache erinnerte er daran, dass die Lebensqualität und auch das Lebensgefühl der Stadt ganz entscheidend von der Vielfalt und deren Akzeptanz geprägt seien. Den Kräften, die versuchen würden, die Gesellschaft zu spalten, würde in München immer wieder bewiesen, das die Demokraten „die mehreren“ seien, so Reiter. Am Ende sollte er deutlich Recht behalten. Zu den Protesten am Marienplatz kamen noch einmal deutlich mehr Menschen, während sich bei Pegida nur knapp 190 versammelten. Ein Teil verabschiedete sich nach der Demonstration gleich wieder. Noch gut 120 Personen dürften so die Rede von Lutz Bachmann innerhalb der Absperrung mitverfolgt haben.

Das Pegida-Prinzip

Der Pegida-Gründer hatte sich rar gemacht und einen Großteil der Veranstaltung im Transporter verbracht, so dass Fragen aufkamen, ob er wirklich in München sei. Seine Rede hielte er dann nicht auf dem erhöhten Podest und war nur schlecht sichtbar für seine Anhänger. Wenig originell, aber dafür extrem „vergesslich“ folgte eine weitere Demonstration dessen, was seit Pegida von Seiten der Rechtspopulisten und neuen Rechten zum üblichen Diskurs gehört. Der Gegner wird gerne persönlich angegriffen, wobei auch unter die Gürtellinie gezielt werden darf. So bedient er bei dem anwesenden Kern der Anhänger, Männer und Frauen mittleren Alters aus bürgerlichen Schichten, die Wut und versteht, sie zu radikalisieren.

Video: Pegida kommt zurück zum Marienplatz – die Vermummung hat die Polizei wohl übersehen

Andererseits kaschiert er mit den gerne nachgeschobenen und kaum ernst gemeinten Entschuldigungen, dass es sich bei Pegida um einer rechtsradikale Erscheinung handelt, die die Verbindungen zum Bürgertum und demokratischen Gesellschaft längst gekappt hat. Bachmann hatte erst kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, als er einen völlig unschuldigen Jugendlichen als möglichen Mörder öffentlich an den Pranger gestellt hatte. Den Gegendemonstranten hielt er vor, sie seien, weil sie gegen Pegida sind, für Angriffskriege und eine Eskalation des Verhältnisses zu Russland verantwortlich und bezeichnete sie als „Arschgeigen“.

Lutz Bachmann verbachte große Teile der Kundgebung im Bus und macht nur am Smartphone die Finger krumm

Hiebe und Sticheleien Bachmanns bekam an dem Tag auch das alte Pegida München um Heinz Meyer ab. Das wäre keine richtige Pegida, er behauptete auch wahrheitswidrig, die Gruppe hätten noch nie die zehn Thesen veröffentlicht. In München sei nun mit der Veranstaltung ein gelungener Neustart geglückt, mit dem Michael Stürzenberger betraut werde. Mit den üblichen Durchhalteparolen wurden die Teilnehmer angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der Gegendemonstranten bei Laune gehalten, als starte Pegida jetzt erst richtig in der Landeshauptstadt.

Die Rede vom angeblich gelungenen Neustart

Bachmann verdrängt dabei gleich mehrere Aspekte. Als Pegida noch unter dem Namen Bagida auf die Straße ging, kamen zu den ersten beiden Demonstrationen 1.800 bzw. 1.200 Personen. In der Folge brachen die Teilnehmerzahlen ein. Stürzenberger wurde wohl auch mit Hilfe Bachmanns kaltgestellt. Angeblich war dem Kopf von Pegida Stürzenbergers Fokussierung auf das „Islam-Thema“ suspekt. Seine lokalen Gegner damals waren Anmelderin Birgit Weißmann und der frühere NPD-Kader Bundestagskandidat auf der Liste der NPD (2005) Stefan Werner. Heinz Meyer wurde wohl mit Zustimmung aus Dresden zum „neuen starken Mann“.

Zurück am Marienplatz war der Neustart zusammengeschrumpft auf knapp über 100 Teilnehmer

Dieses Team organisierte dann auch den ersten Auftritt Bachmanns in der Landeshauptstadt, zu dem im Juni 2015 immerhin mehr Anhänger kamen als gestern. Weißmann hat sich in der Zwischenzeit mit einigen Mitstreitern in Richtung AfD abgesetzt, Stefan Werner, 2015 noch Redner, schloss sich gestern, nachdem er sich zwischenzeitlich ebenfalls mit Meyer zerstritten hatte, der Veranstaltung an. Bachmann versucht nun also „sein Glück“ in München wieder mit dem vom Verfassungsschutz beobachteten PI-Autor Stürzenberger, der seit geraumer Zeit zum inneren Kreis des sogenannten Mutterschiffs gehört. In der neuen Einigkeit verteidigte er die früheren Aktivitäten Bachmanns als Drogendealer und Kleinkriminellen und kündigte ein Buchprojekt an, das „alles“ erklären werde.

Das neue Pegida-„Wir“ mit der AfD

Neben den beiden genannten Rednern sprachen an dem Tag noch Siegfried Daebritz aus Dresden, Gernot Tegetmeyer und „Riko Kows“ vom ebenfalls VS-beobachteten Pegida-Ableger aus Nürnberg, der Nürnberger Trauerredner Ernst Cran und ein Redner aus Rosenheim. Kennzeichnend für viele Reden war die Vereinnahmung der AfD, seit diese nun Auftritte ihrer Funktionäre bei Pegida Dresden zulässt.

Stürzenberger (schwarze Jacke mit Rücken zum Bild) nach kurzer Diskussion mit NPD-Chefin Renate Werlberger – sie darf weiter mitdemonstrieren

So sprach Daebritz davon, dass man in Sachsen schon stärkste Kraft sei. Und auch mit Blick auf die Landtagswahl wird auf ein starkes Ergebnis der AfD gehofft. Ausgenommen aus den „Altparteien“ wurde wie in einem Déjà-vu zum ersten Auftritt Bachmanns 2015 nur Horst Seehofer für seinen Satz zum „Islam“, während Markus Söder ins Lager der „Islamisierer“ gestellt wurde. Neben Stürzenberger arbeitete sich vor allem Ernst Cran mit Thesen zum „Koranertum“ ab, um ungefähr das wiederzugeben, was die bayerischen Sicherheitsbehörden „verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit“ nennen. Mittlerweile ist gerichtsfest entschieden, dass es sich hierbei um Gedankengut handelt, das nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Ansonsten trieb die Redner vor allem die Festsetzung von Martin Sellner bei dessen Einreise nach Großbritannien um. Bachmann kündigte an, dessen Rede ersatzweise in London halten zu wollen. Nach ersten Informationen wurde er ebenfalls von den Behörden nicht ins Land gelassen.
Die Demonstrationsroute wurde von der Polizei weiträumig abgesperrt, was besonders den Geschäften am Marienplatz und im Tal geschadet haben dürfte. Ein nächster Termin wurde von Stürzenberger nicht genannt.

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GEGENDARSTELLUNG:

In der Online-Ausgabe von ENDSTATION.Rechts ist am 18.03.2018 der Beitrag München ist bunt / Bellevue di Monaco – Mehrere tausend Münchner stellen sich gegen versuchten Pegida-Neustart erschienen, in dem in Bezug auf meine Person unrichtige Behauptungen verbreitet werden, die ich wie folgt richtig stelle:

1) Unwahr ist, dass ich ein früherer «NPD-Kader» bin.
2) Wahr ist, dass ich früher bei der Deutschen Partei – DP – und später bei der Bürgerbewegung PRO DEUTSCHLAND war

Hochachtungsvoll

Stefan Werner

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Ergänzung: Wir haben die Bezeichnung in «Bundestagskandidat auf der Liste der NPD (2005)» geändert.

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