Schweinfurt – Herz statt Hetze schlägt „Kandel ist überall“

500 Teilnehmer bei „Schweinfurt ist bunt“ gegen etwa 50 Anhänger mit Sympathien für die AfD. So lautet die rein quantitative Verteilung zwischen den beiden Kundgebungen. Die AfD versuchte Druck auf die Polizei auszuüben, jedweden Widerspruch zu unterbinden, entschied sich dann aber, gegen den Protest anzureden. Trauriger Höhepunkt war die Rede eines Vaters, der seinen Sohn durch eine Gewalttat verloren hatte und seine Geschichte in den Dienst des rassistischen Kandel-Bündnisses stellte. Die völkische Initiative kündigte an, in Zukunft verstärkt in ihrer Kampagne auf das Motiv der Stolpersteine zu setzen.
Angesichts der eindeutigen Zahlenverhältnisse hätte die Veranstaltung des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Schweinfurt ist bunt“ auch unter dem Motto „Wir sind mehr“ stattfinden können. Die Veranstaltung war eine Reaktion auf einen bekannt gewordenen rechten Aufritt in der unterfränkischen Stadt. Bündnissprecherin Marietta Eder begrüßte kurz die Teilnehmer und verlas die gemeinsame Resolution zur Landtagswahl. Der Aufruf bekennt sich zur Würde des Menschen, sieht sich Tradition, aber auch der freien Entfaltung des Einzelnen verpflichtet und sagt den Organisationen den Kampf an, die dem aufgeklärten Menschen- und Gesellschaftsbild der Verfassung zuwiderhandeln.
Video: Marietta Eder verliest die Resolution zur Landtags- und Bezirkstagswahl
Die Leiterin der Schweinfurter Frauenhauses „Frauen helfen Frauen“, Gertrud Schätzlein, ging auf das Thema ein, dass sich auch die rechte Veranstaltung vordergründig auf die Fahnen geschrieben hatte, dem Schutz von Frauen. Sie stellte klar, dass Gewalt gegen Mädchen und Frauen nicht auf einzelne Nationalitäten beschränkt sei. Der gefährlichste Ort, Opfer eines gewalttätigen Mannes zu werden, sei nicht der dunkle Park, sondern weiterhin die eigenen vier Wände, gerade in der Trennungsphase. Diese Aussagen standen im krassen Gegensatz zu dem bei „Kandel ist überall“ verbreiteten Bild.

„Schweinfurt ist bunt“ hatte die eigene Kundgebung kurz gehalten, um den Teilnehmern noch die Gelegenheit zum Gegenprotest zu geben. Am kommenden Wochenende plant das Bündnis eine inhaltlich breiter aufgestellte Veranstaltung unter dem Titel „Vielfalt verbindet Schweinfurt“. Beginn ist um 11 Uhr am Zeughaus.
AfD sucht Machtprobe mit der Polizei und verliert
Keine zwei Gehminuten entfernt hatte sich die Initiative „Kandel ist überall“ am Marktplatz niedergelassen. Einen aufsehenerregenden Vorfall als Anlass gab es eigentlich nicht in der unterfränkischen Stadt. Schnell wurde klar, dass es sich hier um eine reine Wahlveranstaltung für die lokalen AfD-Funktionäre um das Ehepaar Klingen sowie den früheren Republikaner Richard Graupner handelte. Der AfD-Bezirksvorsitzende Christian Klingen eröffnete die Veranstaltung, um sie dann auch gleich wieder zu unterbrechen. Der Gegenprotest war ihm zu laut. Insgesamt stoppte er die Versammlung drei Mal, immer wieder mit Aufrufen an die Polizei, den Widerspruch, der von drei Seiten auf ihn einschallte, zu unterbinden. Seine etwa 50 Anhänger innerhalb und außerhalb der Absperrung sollten zudem Anzeigen gegen die Gegendemonstranten erstatten.

Es folgten hektische Gespräche. Die AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum aus Baden-Württemberg versuchte mit ihrem Landtagsausweis bei den Polizisten Eindruck zu schinden. Jedenfalls ging die außergewöhnliche Taktik, die Fortführung der eigenen Veranstaltung in die Hand der Gegendemonstranten zu legen und von der Lautstärke ihres Protest abhängig zu machen, erwartungsgemäß nicht auf. Die Veranstalter entschieden sich notgedrungen, gegen den Protest anzureden. Die Polizei begründete später gegenüber der Main-Post, friedlicher Protest sei auch von der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gedeckt und die Reden an verschiedenen Punkten doch zu hören gewesen.
Völkisches Menschenbild
Christian Klingen sprach einleitend davon, vor zwei Jahren sei mit der Axt-Attacke von Würzburg und dem Anschlag von Ansbach „der Terror nach Bayern“ gekommen und ignorierte damit etwa die Taten des NSU oder das Oktoberfestattentat. Auch die Tat am Münchner Olympiaeinkaufszentrum stellte er diese Reihe, obwohl der Täter Ali David Sonboly nicht als Geflüchteter ins Land kam, sondern hier geboren wurde und keinerlei Sympathien für den IS hatte. Vollkommen der völkischen Sicht verschrieben, blieb Sonboly für Klingen der „Iraner“, der moslemische Klassenkameraden getötet haben soll.
Tatsächlich sind bei dem Täter zahlreiche Äußerungen belegt, die auf eine rassistische und extrem rechte Einstellung hindeuten. Seinen Geburtsnamen Ali legte er aus freien Stücken ab. Die Opfer waren auch nicht Mitschüler, sondern überwiegend Jugendliche, die nicht in sein rassistisches Weltbild passten. Belegt sind auch Sympathien für die AfD. Klingen sprach dagegen mit Blick auf die demokratischen Parteien von den „Verursacherparteien“, die den Anschlag umgedeutet hätten.

Weniger zimperlich war die sowohl in der AfD als auch im Kandel-Bündnis aktive Linda Amon. Sie kritisierte das erstinstanzliche Urteil gegen den „Moschee-Bomber“ von Dresden als zu hoch, der für versuchten Mord an der Familie eines Imans für fast zehn Jahre ins Gefängnis soll. Sie bezeichnete die Rohrbombe, deren Wirkung von Experten mittels Nachbau bestimmt wurde, als Polen-Böller, der nur den Türrahmen beschädigt hätte. Den Grund für das hohe Urteil sah die frühere Mitarbeiterin der BILD alleine in der deutschen Staatsangehörigkeit.
Weitere Redner, wie der lokale Stadtrat Richard Graupner und der Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg, Stefan Räpple, bemühten sich, die angeblich höhere Kriminalität von Geflüchteten, wahlweise allen Ausländern anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik, einer reinen Anzeigenstatistik, zu belegen und widersprachen sich dabei gegenseitig mit anderen Zahlen, was den Personen vor Ort vermutlich gar nicht auffiel. Später sprach Christina Baum noch davon, dass Menschen aus nach ihrer Sicht „unterentwickelten Ländern“ inkompatibel und unvereinbar zu „unserer Hochkultur“ seien. Ihr „Beleg“: Die angeblichen Äußerungen eines 17-Jährigen aus Syrien, dem für eine Attacke in Burgwedel der – nicht öffentliche – Prozess gemacht wird und der damit angeblich seine Tat zu rechtfertigen sucht. Zum „Manifest von Kandel“, das sich nun auch offiziell die drei hohen unterfränkischen AFD-Funktionäre zu eigen gemacht haben, gehört die Forderung nach Aufklärung über die angeblich „unüberwindlichen kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und nicht westlichen Migranten“.

Instrumentalisierung von Opfern
Trauriger Höhepunkt der Veranstaltung war der Auftritt eines Mannes, der nach einer Gewalttat im Raum Dessau seinen Sohn verloren hat. Der 30-jährige Markus H. zog sich im September 2017 in Folge eines Sturzes nach einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe Geflüchteter tödliche Verletzungen zu. Die Behörden werten die Tat des Haupttäters als Notwehr, ermitteln aber laut Mitteldeutscher Zeitung noch weiter. Der Vater von Marcus, Karsten H., stellt das Schicksal seines Sohnes in den Dienst der rechtspopulistischen Erzählung. Er sprach davon, sein Kind sei Opfer einer «verfehlten Asylpolitik». Er dankte der AfD, die den Fall im Landtag mehrfach zum Thema machte und zudem der extrem rechten Initiative „Ein Prozent“ für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Der Vater und seine rechten Unterstützer gehen von Mord aus, ermittelt wurde bislang wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
Mehrere AfD-Funktionäre empörten sich über die zwar leisere, dennoch vorhandene Geräuschkulisse während der Rede. Weniger zimperlich mit Angehörigen, die Menschen verloren haben, war dagegen Christian Klingen mit Blick auf die ermordete Sophia Lösche und deren Angehörige. Die Frau, die sich bei den Jusos engagiert hatte, war in seinen Augen „eine Repräsentantin der Generation Ponyhof“. Sie sei Opfer einer eingetrichterten Vorurteilsfreiheit. Die Familie hätte nur Angst vor der Instrumentalisierung von rechts gehabt.

Das blieb auch nicht die einzige Geschmacklosigkeit. Seit geraumer Zeit bedient sich die Initiative „Kandel ist überall“ auch der Symbolik der Stolpersteine. Die bekannten dezentralen Mahnmale erinnern auf Anregung des Künstlers Gunter Demnig an die Opfer des Holocausts. Kritiker sehen in der Verwendung durch die völkische Initiative die Relativierung des industriell betriebenen Massenmords durch völkische Akteure. Entsprechend harsch waren laut Kandel-Aktivistin Christiane Christen die Reaktionen im Netz. Lächelnd verkündete sie, das Motiv soll deshalb zukünftig das Hauptmotiv der „Kandel“-Kampagne werden. Die Veranstaltung am Markt endete ohne größere Ereignisse gegen 16 Uhr und damit trotz der langen Unterbrechung deutlich vor dem anvisierten Schluss mit der Hymne.
Bildstrecke
Mehr Fotos auf FLICKR