Regierungserklärung – Erster inhaltlicher Schlagabtausch der Parteien mit der Landtags-AfD

Im Bayerischen Landtag kam es im Zuge der Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder zu deutlichen Konfrontationen zwischen der AfD und den anderen Parteien. Die FDP sprach von einer extremistischen Rede, die Freien Wähler hielten der Fraktionsvorsitzenden ein Sammelsurium an Unsinnigkeiten vor und für Demokraten nur schwer zu ertragen. Die Rede hatte direkte Auswirkungen auf die anschließenden Gremienwahlen und könnte auch so den Umgang mit der AfD prägen.
Am Dienstag kam der frisch gewählte bayerische Landtag zur ersten Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zusammen. Für die neu im Landtag sitzende AfD brachte das eine Redezeit von immerhin 26 Minuten. Die Debatten zu Regierungsklärungen führen traditionell die Vorsitzenden der Fraktionen. Bei der AfD ließ sich die heimliche Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner die Gelegenheit nicht entgehen.
Rechtpopulistisch mit Abspielungen
Etwas unzusammenhängend arbeitete sich Ebner-Steiner zunächst am CDU-Parteitag ab und bescheinigte Söder – wie wohl allen, die es nicht mit der AfD halten – eine Unterwürfigkeit gegenüber der Kanzlerin. Ein Schlenker zu Jean-Jacques Rousseau und dessen Begriffs des Gemeinwillens war Einstieg in längere Ausführungen gemäß des für den Rechtspopulismus symptomatischen Gegensatzpaares: oben eine angeblich losgelöste Elite, unten angeblich nicht mehr vertretene „Volk“, die sich mit direkter Demokratie, Petitionen und „eigenen Informationsquellen“ gegen die Macht eines „politisch-mediale[n] Komplex“ die politische Beteiligung erkämpfen müssten, die von den Parteien nicht wollten.
Video: Bewertung der Rede durch den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Martin Hagen. Antwort auf eine Zwischenfrage des AfD-Abgeordneten Swoboda
Für Ebner-Steiner sind dies Vorzeichen einer angeblichen „Revolution der Bürgerteilhabe“. Für die eigene Klientel und wohl auch nur dort und in der interessierten Öffentlichkeit verstanden, durfte auch die Anspielung auf einen zusammengebrochenen Server der Bundestagsverwaltung nicht fehlen. AfD-Kreise halten das weitgehend für eine Verschwörung gegen ihre Kampagne gegen den UN-Migrationspakt, in der Folge sich zwei bayerische AfD-Bundestagsabgeordnete recht unrühmlich benahmen und eine Mitarbeiterin der Verwaltung an den Pranger gestellt wurde, dass sie die Abteilung wechseln musste.
Es folgten bei Ebner-Steiner angedeutete Zweifel am menschengemachten Klimawandel. Sämtliche Umweltschutzvorhaben der neuen Regierung kanzelte sie als „Sozialismus“ ab.
Umdeutung der Begriffe
Mit dem Gemeinwillen, später sagte Ebner-Steiner direkt „Volkswille“, könnte die AfD einen Begriff ganz nach ihrem Geschmack gefunden haben. Auf den ersten Blick ist er unverdächtig, mit Bezug auf einen Theoretiker der sonst verhassten französischen Revolution, aber auch in der Deutung offen. Wichtig: Es lassen sich potentiell antipluralistische Denkweisen hineinpassen, der eines „Volkswillens“, der die Grundrechte von Minderheiten überwölben könnte.
Es wird eine der größten Herausforderungen für die Parlamentarier der anderen Parteien in der Auseinandersetzung sein, hinter bekannten und positiven Begriffen den Sinn zu erkennen, in dem die AfD ihn verwendet, und in der Abgrenzung nach außen die Problematik des Gedankenguts verständlich darzustellen. Oder anders ausgedrückt: Es macht einen Unterschied, ob ein John F. Kennedy als Repräsentant eines auf Individualismus basierenden politischen Systems die Bürger aufruft, sie sollten nicht fragen, was das Land für sie tun könne, oder ob der Satz von einem Kim Jong-un kommt.
„Volk“ ist so ein weiterer Begriff. In der extremen Rechten ist er kulturell / biologisch geprägt, bei Demokraten ein rein politischer Begriff und die Summe aller rechtlichen Staatsbürger. Hier gab es einen ähnlichen Kniff von Ebner-Steiner. Artikel 131 der Bayerischen Verfassung nennt als oberstes Bildungsziel unter anderem die Erziehung im Geiste der Völkerversöhnung. Die AfD-Fraktionsvorsitzende las in den Paragraphen die Verpflichtung hinein, dass „Völker weiter bestehen müssten“. Damit war sie nah dran an der Forderung des neurechten französischen Publizisten Alain de Benoist, die „Vielfalt der Völker muss erhalten bleiben“. Der Ausspruch darf in keinem Glaubensbekenntnis der Neuen Rechten fehlen.
NPD-„Klassiker“
Wie sie „Volk“ meint, unterstrich Ebner-Steiner mit ihren gegen Ende deutlicher werdenden Ausführungen. Der UN-Migrationspakt sei ein gigantisches Resettlement. Einher gehe die angebliche Entrechtung der „Stammbevölkerung“ samt „Zerstörung der europäischen Völker“ initiiert durch eine „Globalisten-Koalition“. Migration sei unmenschlich. Nur die Absage daran – sie nannte es „heimatverbundene Politik“ und „Naturrecht auf Heimat“ – erhalte das „urmenschlich anthropologische Bedürfnis nach Identifikation und Gruppenzugehörigkeit“. Bayern werde zu einer „multiethnischen Besatzungszone“.
Video: Rede von Dr. Fabian Mehring (Freie Wähler). Bewertung der AfD-Rede ab Stelle 6:30.
Am Ende durfte auch der von der NPD bekannte Klassiker jeder extrem rechten Bewegung nicht fehlen, die Aussage, „Ausländer“ seien krimineller als „Deutsche“. Völkische Gesinnung pur offenbarte Ebner-Steiner, als sie unter den festgestellten deutschen Tätern weitere „Ausländer“ vermutete. Die hätten zwar den deutschen Pass, seien aber weiterhin ihrem Herkunftsland verbunden, was sie in den Augen der AfD-Politikerin wahrscheinlicher zu Sexualstraftätern mache.
Ebner-Steiner ist Wiederholungstäterin. Bei einer Kundgebung der AfD in Würzburg nach der Anschlagsserie im Sommer 2016 mutmaßte sie über David Ali Sonboly, den Attentäter vom Münchner OEZ, Migration und Entwurzelung könnten ihn zur Tat angetrieben haben. Auch das ist klassische neurechte Denkweise vom Menschen im falschen «Kulturraum».
Vorahnung bei den Freien Wählern?
Die erste Antwort auf die AfD kam, bevor Ebner-Steiner überhaupt gesprochen hatte. Vor ihr sprach der Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl. Als ob er es schon geahnt hätte, was nach ihm kommen sollte, flocht er etwa das letzte Viertel seiner Rede immer wieder Aussagen, die als Abgrenzung eines Konservativen zur rechten AfD verstanden werden konnten.

Bayerische Wesensart sei die Neugier auf das Neue. Der Freistaat müsse sich „Brexit-fest“ und „Trump-fest“ machen. Für ein modernes Bayern brauche es eine „vorurteilsfreie, menschenfreundliche und weltoffene Gesellschaft“. Freier Verkehr von Waren und Personen sei die Grundlage des bayerischen Wohlstandes. Er lobte den „kritischen Qualitätsjournalismus“. Ohne Pressefreiheit sei eine freiheitlich-demokratische, weltoffene Gesellschaft nicht denkbar. Ebenso nicht ohne Rechtsstaat mit gleichen Regeln für alle. Bayern sei zu schützen vor denen, die die Geschichte vergessen hätten und „uns zwingen wollen, die Schrecken der Vergangenheit zu wiederholen“, so der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten.
Weitere Reaktionen der anderen Parteien
Das erste Wort auf Ebner-Steiner hatte die Abgeordnete der Freien Wähler Gabi Schmidt mit einer „Zwischenbemerkung“. Sie verbat sich als Christin die zahlreichen Anspielungen auf Gott und den Glauben, die von der AfD immer wieder gerne kämen. Horst Arnold stieß als Jurist und Sozialdemokrat der Bezug Ebner-Steiners zu Bayerischen Verfassung sauer auf. Wer teure Gutachten in Auftrag gebe, um nach außen nicht verfassungsfeindlich zu klingen, habe eher ein gespaltenes Verhältnis zu Verfassung. Ansonsten widmete er sich der Regierungserklärung. Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU, warf der AfD vor, dem Migrationspakt eine Bedeutung zu verleihen, die er gar nicht habe. Wer von „Siedlungszonen“ spreche, könne von anderen Demokraten nicht ernst genommen werden.
FDP und Freie Wähler wollen Haltung zur Beteiligung der AfD überdenken
Martin Hagen von der FDP nahm sich direkt die AfD vor. Die Rede sei eine krude Melange von rechten Verschwörungstheorien gewesen, wie sie der Landtag noch nicht gehört hätte. Er erinnerte die rechts außen sitzenden Abgeordneten daran, dass später am Tag noch die Vertreter in einigen Gremien zu wählen seien, darunter etwa im Parlamentarischen Kontrollgremium. Mit den Worten „sie haben uns die Entscheidung deutlich einfacher gemacht“ deutete er eine Ablehnung der AfD-Kandidaten durch seine Fraktion an.
Ähnliches deutete für die Freien Wähler Fabian Mehring an. Die Rede sei „inhaltlich unterirdisch und losgelöst vom Tagesordnungspunkt“ gewesen. Ihr Jargon sei dem Haus nicht würdig gewesen, ein Sammelsurium an Unsinnigkeiten und für Demokraten nur schwer auszuhalten. Seine Fraktion habe bisher immer die Beteiligungen aller Fraktionen, auch der AfD hochgehalten, nach der Rede von Ebner-Steiner falle sicher bei einigen und bei ihm persönlich die Abwägung anders aus.
Und so kam es dann auch: Zwar holten die Wahlvorschläge der AfD leicht mehr Ja-Stimmen als noch bei der Wahl zum Vizepräsidenten, verfehlten aber die nötige Zustimmung des Landtags deutlich. Somit entsendet die Partei vorerst keinen Vertreter ins Parlamentarische Kontrollgremium und auch nicht in den Verwaltungsrat der Landeszentrale für politische Bildung. In den Ausschüssen des Landtags hatte die Koalition und auch die FDP noch weitgehend die beiden Vorschläge der AfD mitgetragen und so der Partei zum Vorsitz im Bildungsausschuss verholfen.