Symposium für Lehrkräfte und PolizeiAntisemitismus als gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Im Amberger Rathaussaal kamen rund 80 Lehrer und Polizisten zusammen

Bei einer Fachtagung in Amberg beschäftigten sich Oberpfälzer Lehrer und Polizisten mit Antisemitismus in all seinen Ausprägungen. Das Fazit: Wer den Hass auf Juden wirksam bekämpfen möchte, kommt um gesamtgesellschaftliche Anstrengungen nicht umhin.

Für Juden in Bayern ist Antisemitismus ein „alltagsprägendes Phänomen“. Zu diesem schockierenden Ergebnis kam eine Erhebung der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Berlin, für die bereits 2017 insgesamt 20 Jüdinnen und Juden befragt wurden, die sich aktiv in ihren Gemeinden engagieren. Sie werden demnach „regelmäßig mit Antisemitismus in unterschiedlichen, alltäglichen Situationen konfrontiert: in der Schule, am Arbeitsplatz, beim Spazierengehen, beim Einkaufen oder im ÖPNV“.

Umso wichtiger war deshalb das Symposium „Antisemitismus – ein gesamtgesellschaftliches Problem“ im Amberger Rathausaal, wo sich am Donnerstag rund 80 Lehrer und Polizeibeamte aus der gesamten Oberpfalz mit Experten über Antisemitismus ausgetauscht haben. Organisiert von der Staatlichen Schulberatungsstelle für die Oberpfalz und dem Polizeipräsidium Oberpfalz in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg konnten so beide Seiten zusammengebracht werden, denen im Kampf gegen Antisemitismus eine entscheidende Rolle zukommt: die Schulen als Ort der Prävention und die Polizei als Organ der Strafverfolgung.

Was aber verbirgt sich eigentlich hinter diesem oft abstrakten Begriff Antisemitismus? Für den ersten Redner des Tages, den Historiker Wolfgang Benz, handelt es sich um ein „politisches, kulturelles und soziales Vorurteil“. Der Antisemitismus trete ohne „räumliche oder zeitliche Begrenzung“ auf, er erstrecke sich mithin von der Antike bis in die Neuzeit. „Entgegen landläufiger Meinungen reagiert er nicht auf Eigenschaften oder Handlungen von Juden“, betonte Benz, der bis zu seiner Pensionierung 2011 an der TU Berlin lehrte und dort das Zentrum für Antisemitismusforschung leitete. Er sei vielmehr eine „Projektion negativer Eigenschaften“, in der Juden als „feindliches Konstrukt“ gesehen werden.

Antisemitismus entstammt der Mitte

Um ein Phänomen, das sich auf politische Ränder beschränkt, handelt es sich für den Experten ausdrücklich nicht. Rund 20 Prozent der Deutschen, zitiert er eine Statistik, würden regelmäßig entsprechenden Aussagen zustimmen, die Zahlen seien seit Jahren konstant. „Positioniert war die Judenfeindlichkeit schon immer in der Mitte der Gesellschaft.“ Ja, mehr noch: Sie habe historisch gesehen sogar ihren Ursprung in dieser gesellschaftlichen Mitte. „Das gehört zu den Grundtatsachen“, erklärte der Historiker den anwesenden Lehrern und Polizisten.

Prof. Wolfgang Benz, lange Jahre Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, hielt das Auftaktreferat

Im Alltag äußere sich dieses Ressentiment durchaus auf unterschiedliche Weise. Der religiös begründete Antisemitismus des Christentums und der sogenannte moderne Antisemitismus, der mit seiner rassistisch-kulturalistischen Begründung in der NS-Zeit seinen traurigen Höhepunkt fand, seien heute zumindest in Deutschland eher Randerscheinungen. Dafür sind andere Formen des Antisemitismus prägend, so zum Beispiel der sekundäre Antisemitismus, der für Benz ein deutsches Spezifikum ist.

Er speise sich aus Gefühlen der Schuld und Scham für das Menschheitsverbrechen des Holocausts, es gehe folglich um die Schuldabwehr. Oder anders gesagt: Er wird nicht „trotz Ausschwitz, sondern wegen Ausschwitz“ artikuliert. Als typisches Beispiel für diese Spielart nannte Benz die Vermutung, dass sich „Juden selbst am Völkermord noch bereichern würden, weil sie angeblich mit allem Geschäfte machen“. Zwar werde das selten in einer solchen Deutlichkeit öffentlich gemacht, denn es äußere sich meist nur „unter vorgehaltener Hand“. Aber: „Diese Ressentiments sind allgegenwärtig, werden von vielen geteilt und ohne Reflektion geäußert.“

Christlich-jüdische Abendland entbehrt jeder Realität

Die zweite heute wesentliche Form, der israelbezogene Antisemitismus, ist wiederum ein weltweit verbreitetes Phänomen. Meist komme er unter dem Deckmantel der „Israelkritik“ daher, sagte Benz. Tatsächlich aber werden nicht bloß politische Entscheidung kritisiert, wie es der Begriff vermuten lässt, sondern gleich alle Juden für diese in Regress genommen. „Wer den Krieg der USA im Irak kritisiert, bezieht das üblicherweise nicht auf die Ethnie der Amerikaner“, gab der Historiker ein Beispiel. Beim Antisemitismus, der sich als „Israelkritik“ tarne, sei das anders. „Das wird auf Juden allgemein bezogen.“ Spätestens dann, wenn solche Stereotype und Ressentiments ins Spiel kommen, sei eine klare Grenze überschritten.

Mit Blick auf den Antisemitismus unter Muslimen, der derzeit intensiv diskutiert wird, wollte Benz den allgemeinen Alarmismus dagegen nicht bedienen. In mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern lasse sich zwar teils „ein weit verbreitetes Ressentiment“ feststellen, das sich vorwiegend auf Israel bezieht, sagte Benz und verwies auf arabische TV-Sendungen, die regelmäßig antisemitische Hassprogramme ausstrahlen. Doch der These, dass der Antisemitismus dort religiös geprägt sei, widersprach der Wissenschaftler deutlich. Historisch gesehen entspräche das nicht den Tatsachen, im Gegenteil handle es sich überwiegend um altbekannte Ressentiments und Stereotype, die aus Europa verbreitet wurden. Diese weisen in ihrer heutigen Ausprägung im arabischen Raum eher eine politische Grundlage auf, keine religiöse, wie sie dem Christentum inhärent war, betonte Benz.

„Das neuerdings so oft beschworene christlich-jüdische Abendland“ entbehre deshalb „jeder Realität, das ist nicht mehr als ein Kampfbegriff“, befand der Historiker. Diejenigen, die es in politischen Debatten offensiv vor sich her tragen, würden nicht selten „vom eigenen Ressentiment ablenken“ wollen. Auch mit der AfD, die von sich behauptet, sich gegen Antisemitismus bei Muslimen einzusetzen, ging er hart ins Gericht. „Diese sogenannte Alternative für Deutschland löst keine Probleme, sie lenkt damit allenfalls vom Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen ab.“

Auf dem Podium wurden die Erkenntnisse zusammengefasst. Vertreten waren Günter Kohl (Schulberatungsstelle), Rabbiner Elias Dray, Dr. Juliane Wetzel, Sanem Kleff von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, Leitender Kriminaldirektor Robert Fuchs, Dr. Jörg Skriebeleit (Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg) und Prof. Wolfgang Benz

Antisemitismus in allen Spielarten

Im Kampf gegen die Judenfeindlichkeit, so Benz‘ Fazit, sind vor allem zwei wichtige Faktoren entscheidend: einerseits der Rechtstaat, um Straftaten konsequent zu ahnden, und andererseits die Prävention, um Antisemitismus mit Bildung und Aufklärung möglichst proaktiv entgegenzutreten. Denn: „Für eine Gesellschaft, die ihre Lehren aus dem Holocaust ziehen will, darf es für Antisemitismus keine Toleranz geben.“

Freilich ist die Theorie immer nur eine abstrakte Ebene, mindestens ebenso wichtig sind die Beispiele, die einen Eindruck davon verschaffen, wie sich Antisemitismus tatsächlich äußert, welche Ausmaße er im Einzelnen annimmt. Diese Praxis lieferte den Lehrern und Polizisten Juliane Wetzel, ebenfalls Historikerin und Mitarbeiterin an Benz‘ früherem Zentrum. In ihrem Vortrag präsentierte sie erschreckendes Anschauungsmaterial, auch um den Zuhörern Hilfestellung zu geben, wie sie antisemitische Bildsprache zuverlässig erkennen können.

Es waren widerwärtige Materialien, die sich auf alle politischen Spektren verteilten – bis hinein in die Mitte der Gesellschaft. So zeigte sie dem Publikum beispielhaft eine vielfach kritisierte Karikatur aus der „Süddeutschen Zeitung“, die Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mit Hakennase und als weltumspannende Krake zeigt. Dieses Motiv hat einen klar antisemitischen Charakter und bedient die populäre, im Internet weit verbreitete Verschwörungstheorie, wonach Juden heimlich die gesamte Welt kontrollieren würden. In der Praxis gehe das häufig mit einem Antiamerikanismus einher, so Wetzel, wenn zum Beispiel das auch in der Neonazi-Szene verbreitet Kofferwort „USrael“ verwendet wird.

Für Lehrer Günter Kohl bietet gute pädagogische Arbeit großes Potenzial

Begegnung als Chance

„Für die Bildungsarbeit ist die Dekonstruktion dieser Bildsprache und Kürzel daher eine wichtige Aufgabe“, sagte die Wissenschaftlerin. Auch wenn das für viele Lehrer immer noch schwierig sei, weil sie während des Studiums nicht adäquat darauf vorbereitet werden. Allzu oft würden sich die Pädagogen, wenn sich antisemitische Vorfälle ereignen, lieber auf den Nationalsozialismus und den dortigen Antisemitismus verlegen. Doch das ist für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Judenfeindlichkeit gerade keine Strategie, warnte Wetzel. „Man muss schon die aktuellen Fragen und nicht nur den nationalsozialistischen Antisemitismus ausführlich durchnehmen.“

Was die Gefahren des Antisemitismus in Bayern angeht, äußerte der Amberger Rabbiner Elias Dray auf dem abschließenden Podium eine differenzierte Einschätzung. „Es ist falsch zu sagen, es ist überall gefährlich, eine Kippa zu tragen. Das denke ich nicht.“ In Amberg oder in Bayern sei das im Allgemeinen kein Problem, was der leitende Kriminaldirektor Robert Fuchs vom Polizeipräsidium Oberpfalz bekräftigen konnte. In Berlin hingegen, wo Dray lebt und arbeitet, sei es mitunter doch riskanter. Zweimal habe er es in der Bundeshauptstadt bereits erlebt, dass ihn Jugendliche wegen seiner Kippa hätten schlagen wollen. Im Kampf gegen diese Judenfeindlichkeit sieht Dray ein großes Potenzial in der Begegnung, um sich untereinander kennenzulernen und so im persönlichen Kontakt Ressentiments abzubauen. „Das ist unheimlich wichtig.“

Auch Lehrer Günter Kohl, der bei der Schulberatungsstelle als Regionalbeauftragter für Demokratie und Toleranz tätig ist, setzt auf einen ähnlichen Ansatz. „Stereotype werden übernommen und die kann man, wenn man vernünftig pädagogisch arbeitet, auch angehen“, ist er überzeugt. Entscheidend seien Gespräche und die Beziehungsarbeit, dass man mit den Schülern in Kontakt treten könne. „Das ist für mich das Wichtigste an der Geschichte“, so Kohl.

Es waren gewiss keine fertigen Lösungen, die Lehrer und Polizisten am Donnerstag mit nach Hause nehmen konnten. Schon der große Umfang des Themas und die ständigen Veränderungen bringen es mit sich, dass ein solches Phänomen in der kurzen Zeit niemals komplett erarbeitet werden kann. Aber es war zumindest eine erste Einführung, die wichtige Grundlagen vermitteln, Kontakte herstellen und für die grundsätzliche Bedeutung der Problematik sensibilisieren konnte. Das im Alltag umzusetzen, liegt jetzt in der Hand der Lehrer und Polizisten.