Staatsanwaltschaft stellt großzügig Verfahren ein – So gut wie keine Anklagen nach Demonstration für Holocaust-Leugner

Ab Mittwoch sollte sich Marianne W. aus Oberfranken vor Gericht verantworten. Das Verfahren wurde kurzfristig verschoben. Sie hatte während einer Demonstration für verurteilte Holocaust-Leugner letztes Jahr in Nürnberg den Völkermord an Juden als Lüge bezeichnet. Die Versammlung hatte für heftige Diskussionen gesorgt, weil die Polizei trotz evidenter Straftaten bei der Abschlusskundgebung nicht eingeschritten war.
Etwas über ein Jahr danach steht fest: Marianne W. wird die Einzige sein, die sich vor Gericht verantworten muss. Das Innenministerium sieht kein Fehlverhalten der eingesetzten Beamten. Eine ernüchternde Bilanz.
Zwei Tage, Mittwoch und Donnerstag, waren vom Amtsgericht Hof für die Verhandlung gegen die Rentnerin angesetzt. Die Anklage lautete auf sechs Mal Volksverhetzung. In zwei Fällen wird ihr Beleidigung vorgeworfen. Mit einbezogen werden dürften auch ihre Worte von der Kundgebung für verurteilte Holocaust-Leugner Ende Juni letzten Jahres in Nürnberg. Die Termine wurden kurzfristig wegen Erkrankung des Anwalts aufgehoben.
Mit 250 Teilnehmern fanden sich damals erstaunlich viele Anhänger der Geschichtsrevisonisten ein, um für die Abschaffung des Volksverhetzungsparagraphen in seiner jetzigen Form zu demonstrieren. Zu dem Zeitpunkt befanden sich mindestens fünf bekannte „Geschichtsrevisionisten“ hinter Gittern. Für den Montag nach der Kundgebung standen die Verhandlungen gegen die Geschwister Alfred und Monica Schaefer an.

„Mengenrabatt“ für Alfred Schaefer
Der Reigen der möglicherweise strafbaren Vorgänge bei der Schlusskundgebung begann mit Alfred Schaefer. Er drohte den Richtern unverhohlen, sie „würden baumeln am Hals bis zum Tode“, sollten sie ihn schuldig sprechen. Auch sprach er davon, in Amerika würden sich die Stimmen mehren, die ein Auslöschung der „Kikes“ fordern würden, einem Slangwort für Juden. Als strafrechtlich relevant wird keine der beiden Aussagen eingestuft, denn nichts davon findet sich in einer Aufstellung des Staatsministeriums des Inneren auf eine Anfrage im Landtag zur Versammlung. Erst Schaefers Hitlergruß, mit dem er seine Rede beendete, wurde vermerkt. Bestraft wird er auch dafür allerdings nicht.
Was zunächst wie ein Skandal klingt, basiert allerdings auf einer in der Strafprozessordnung vorgesehenen Regelung in Paragraph 154. Sie kann angewendet werden, wenn der Täter wegen anderer Taten eine hohe Strafe zu erwarten hat, weshalb die einzelne Tat nicht mehr direkt ins Gewicht fällt. Und so kam es bei Alfred Schaefer dann auch. Das Landgericht München verurteilte ihn für eine Reihe von YouTube-Videos zu drei Jahren und zwei Monaten, Anfang August kamen noch ein Mal anderthalb Jahre Gefängnis hinzu für im Gericht gezeigte Hitlergrüße.
Keine Ermittlungen für die Bezeichnung der NS-Zeit als „Freiheitskampf gegen das Böse“
Auch gegen den nachfolgenden Redner, Fabio G. aus der Schweiz, wird es kein Verfahren geben. Er hatte Hitler zwar als „verrückten Österreicher“ bezeichnet, aber dafür „Mein Kampf“ gelobt und zu einem zentralen Buch für heutige Rechte erklärt. Wie berichtet, wertet er die „zwölf dunklen Jahre“ als den «ersten Freiheitskampf eines Volkes gegen das Böse schlechthin.» Wir haben die gesamte Rede von Fabio G hier hinterlegt.

Damit passten seine Aussagen eins zu eins zum Wortlaut des vierten Absatzes im Volksverhetzungsparagraphen, der die Billigung, Rechtfertigung oder Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellt. Die Staatsanwaltschaft teilte ENDSTATION RECHTS.Bayern hierzu auf Anfrage mit, dass die Polizei zum Ergebnis gekommen sei, dass ein Verfahren nicht einzuleiten war.
Konkretisierung durch das Bundesverfassungsgericht
Bei der Prüfung eben jenes Absatz im bekannten „Wunsiedel-Entscheidung“ hatten die Richter am Bundesverfassungsgericht einige Einschränkungen vorgenommen. Angesichts der Schrecken der NS-Herrschaft erklärte der Erste Senat den Paragraphen für vereinbar mit der Verfassung, allerdings verneinten sie ein allgemein antinationalsozialistisches Grundprinzip des Grundgesetzes. Bedeutet: Auch bei nationalsozialistischem Gedankengut kann man sich auf die Meinungsfreiheit berufen.
Der damals neue Paragraph soll auch nicht als anstößig empfundene Geschichtsinterpretationen unter Strafe stellen oder ein zustimmende Bewertung zu einzelnen Maßnahmen des NS-Regimes. Stichwort: Autobahnen. Auch sollte niemand dazu gezwungen werden, beim Bezug auf die Nazi-Zeit einen Mindestanteil der verbrecherischen Maßnahmen nennen zu müssen, so die Richter jeweils im weiteren Verlauf der Entscheidung.
Unter Strafe gestellt werden sollte dagegen die „nach außen manifestierte Gutheißung der realen historischen Gewalt- und Willkürherrschaft, wie sie unter dem Nationalsozialismus ins Werk gesetzt wurde.“

An anderer Stelle wird es noch klarer:
„Eine Billigung, die sich vorbehaltlos auf die Herrschaft des Nationalsozialismus in den Jahren zwischen 1933 und 1945 als Ganzes bezieht, wird bei einem unbefangenen Betrachter unweigerlich auch und vor allem als Billigung der diese Zeit kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen verstanden werden.“
Die Passage des Redners aus der Schweiz erfüllt geradezu lehrbuchartig die Zielrichtung, was der geprüfte Paragraph nach Willen des Gesetzgebers und der Bundesverfassungsrichter unter Strafe gestellt sein sollte. Mit dem Wort „Kampf“ geht es mindestens um reale Maßnahmen des Regimes. Zwar wird keine Opfergruppe explizit genannt, aus dem Gesamtkontext seiner Rede dürften sich die Aussage eindeutig gegen Juden richten, die zudem als „das Böse“ zusätzlich abqualifiziert und in ihrer Würde verletzt wurden. Mit „erster Freiheitskampf“ wird nicht nur eine Billigung ausgesprochen. In den Worten schwingt ein Aufruf zur Wiederholung mit. Gleichzeitig werden frühere antisemitische Maßnahmen als halbherzig und inkonsequent verharmlost.
Unverständlich, aber vielleicht symptomatisch für die ganzen Ermittlungen in dem Fall der Kundgebung ist auch der Umstand, dass nie offiziell gegen Fabio G. ermittelt wurde, obwohl eine Anzeige gegen ihn vorlag. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft war den Behörden die Angabe in der Anzeige „Redner Fabio aus der Schweiz“ zu unkonkret. Mehr Erkenntnisse lagen den dokumentierenden Journalisten zu dem Zeitpunkt allerdings nicht vor. Die Einsatzleitung wertet also die Rede von Beginn an als unbedenklich und veranlasste keine Feststellung der Personalien des Mannes. Als im Winter Hinweise auf die Identität der Staatsanwaltschaft übergeben wurden, blieb diese im Verbund mit der Polizei bei ihrer Einschätzung: nicht strafwürdig.
Auch im Lichte des Wunsiedel-Beschlusses erscheint die Wertung der Sicherheitsbehörden, den Redner für diese Äußerungen gar nicht erst anzuklagen, fragwürdig.
Schaller und Schlimper bleiben straffrei
Bereits im Januar wurden auch die Ermittlungen gegen die Versammlungsleitung eingestellt. Auf telefonische Nachfrage hieß es, sowohl Versammlungsleiterin Angela Schaller als auch ihr Stellvertreter Axel Schlimper hätten nichts von den getätigten Straftaten gewusst und dann auch genügend Schritte unternommen, um weitere zu unterbinden. Das bezog sich allerdings nur auf die offiziell festgestellten Straftaten bei der Abschlusskundgebung, also Schaefers Hitlergruß und Marianne Ws. Aussagen über den Holocaust.

Nun war das von Schaller und Schlimper gewählte Thema ein konfliktträchtiges mit einer immanenten Gefahr, dass dabei gegen Strafgesetze verstoßen werden könnte. Die Revisionisten-Szene ist bekannt dafür, dass sich in ihr unbelehrbare Kader engagieren, die oftmals auch Ermittlungen gezielt provozieren, um sich als Märtyrer zu präsentieren.
Ob insbesondere Axel Schlimper nichts von Schaefers Plänen wusste, kann mit einem Fragezeichen versehen werden. Während er fast alle Redner wie Nikolai Nerling, Henry Hafenmayer oder Christian Bärthel durchgehend mit Namen vorstellte, tat er bei Schaefer so, als kenne er ihn nicht. Das ist angesichts von Schaefers Prominenz innerhalb der Szene durch den anstehenden Prozess unglaubwürdig, zumal er als Redner im Vorfeld angekündigt war. Er stand bekanntermaßen mit den deutschen Strafgesetzen auf Kriegsfuß und hatte Videos mit Hakenkreuzfahnen als Hintergrund online gestellt. Schlimper bedankte sich trotz des gerade gezeigten Hitlergrußes „bei dem völlig unbekannten Herrn“. Eine Distanzierung oder Klarstellung von Seiten der Versammlungsleitung erfolgte nicht. Das Publikum spendet besonders lauten Applaus. Nur ein Anhänger von Pegida Mittelfranken, der zeitweise das Fronttransparent getragen hatte, erklärte später, als er mit dem Umstand konfrontiert wurde, er habe aus Protest nach der Geste die Versammlung verlassen. Überprüfen lässt sich das nicht. Der Platz blieb insgesamt gut gefüllt.

Angela Schaller profitierte von einem Narrativ, mit dem die Polizei ihr Nicht-Einschreiten bei der Rede von Marianne W. später gegen Kritik rechtfertigte. Laut Staatsanwaltschaft sei der völkischen Aktivistin nichts vorzuwerfen. Sie sei während der möglicherweise strafbaren Passagen zur Shoah mit Leitungsaufgaben beschäftigt gewesen. Als sie einschreiten wollte, sei sie zur Polizei gerufen worden, die ihrerseits einen Abbruch der Rede gefordert hatte. Als ein Einschreiten möglich gewesen sei, sei die Rede auch schon zu Ende gewesen. Das hätten laut Staatsanwaltschaft auch die Aussagen der befragten Polizisten so ergeben.
Video zeigt halbherzige und erfolglose Versuche der Versammlungsleiterin
Das Problem: Auf einem Video zur Versammlung stellt sich das anders da. Schaller war bereits 50 Sekunden nach der möglicherweise strafbaren Aussage zurück am LKW und versuchte fünf Minuten erfolglos – und nach unserer Wertung halbherzig – Marianne W. zum Aufhören zu bewegen. Ein möglicher Techniker auf der Ladefläche, der die Rede hätte sofort abdrehen können, quittierte Schallers Anliegen mit einem – wie es aussieht – bloßen Schulterzucken. W. konnte weiterreden.
Schaller ging in der Zwischenzeit immer wieder zwischen LKW und Teilnehmern hin und her und wirkte ratlos. Marianne W. reagiert auch nur kurz auf Interventionsversuche, beschwichtigte, noch etwas zu Ende sagen zu wollen. Schaller verschwand kurz hinter dem LKW und suchte danach wieder das Gespräch mit dem mutmaßlichen Techniker. Dem wurde es offenbar zu heikel, er verließ die Ladefläche und verfolgte den Rest der Rede vom Rand aus.
Marianne W. beendete mit einer Bekräftigung ihrer Aussagen zur Ermordung der Juden die insgesamt 16 Minuten lange Rede, sechs Minuten nach ihren möglicherweise strafbaren Äußerungen. Die von der Polizeispitze verbreitete Sicht, es sei nichts mehr abzubrechen gewesen, weil alles schnell vorbei war, ist so nicht haltbar.
Teilnehmer applaudierten besonders laut bei mutmaßlichen Straftaten
Wieder erfolgte keine Distanzierung durch die Versammlungsleitung. Schlimpers anschließende Worte könnten gar als Bekräftigung und Zustimmung verstanden werden. Es sei nicht die Jugend, die momentan am härtesten für die „Freiheit unseres Volkes“ kämpfen würde, sondern die Großmütter. Auch Schaller, der ja die Problematik der Aussagen wohl bewusst war, gab sich nach der Versammlung auf Facebook unbeeindruckt.
Und auch die Versammlungsteilnehmer goutierte die mutmaßlichen Straftat wie zuvor und spendete besonders eifrig Applaus. Es war sogar der erste Beifall, den W. an dem Tag erhielt. Als Redner Fabio Hitler als „meschugge“ bezeichnet hatte, herrschte dagegen Stille auf dem Versammlungsgelände.

Soweit bekannt flossen in die Ermittlungen nur die Sichtweisen und Wertungen der eingesetzten Polizisten ein. ENDSTATION RECHTS.Bayern hat sich bei den zahlreichen Medienvertretern erkundigt, die damals ebenfalls die Versammlung dokumentierten. Keine einziger wurde als Zeuge befragt oder im Rahmen der Ermittlungen überhaupt kontaktiert.
ENDSTATION RECHTS.Bayern hat das Innenministerium angefragt, ob aus dem zurückhaltenden Verhalten der eingesetzten Beamten irgendwelche Konsequenzen gezogen worden seien. Das Ministerium habe den Einsatz eingehend geprüft. Dabei sei kein Fehlverhalten der vor Ort eingesetzten Beamten festgestellt worden, hieß es in einer Stellungnahme an unsere Redaktion. Auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth stellte die auf Basis einer Anzeige geführten Ermittlungen inzwischen ebenfalls ein.
Mit Material von Anne Wild und Roland Sauer