AfD-Teilstrukturen erstmalig regulär im BerichtVerfassungsschutzbericht nun mit Höcke-Flügel neben NPD und III.Weg

Verfassungsschutzbericht 2019 mit Flügel und Junge Alternative neben NPD und 3WEG (c) Sachelle Babbar

Die AfD Bayern ist im Verfassungsschutzbericht angekommen, zumindest die Junge Alternative und der gewichtige Teil, der sich zum Flügel bekennt. Damit beschreibt erstmalig ein Landesamt wesentliche Strukturen der Partei im Rahmen eines regulären Sicherheitsberichts. Zum Landesverband an sich schweigt sich die Behörde aus. Der Part zum Flügel ist sogar eher verharmlosend. Islamfeind Michael Stürzenberger wird „entlarvt“ und halboffiziell nicht mehr als Journalist angesehen.

Dass es Kapitel über die beiden AfD-Strukturen geben werde, war keine Überraschung, sondern eine Folge der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz Anfang letzten Jahres. In Ermangelung einer dem „Verdachtsfall“ ähnliche Kategorie erklärte Innenminister Joachim Hermann Flügel und Junge Alternative zu regulären Beobachtungsobjekten. Ein erster Blick erfolgte im Rahmen des deutlich kürzeren Halbjahresberichts für 2019. Mit der gestrigen Vorstellung stehen nun erstmalig Teile der AfD ganz regulär neben NPD, Identitärer Bewegung und dem III.Weg. Dass sie dort nicht ohne Grund stehen, davon ist etwa Ministerpräsident Söder überzeugt, der mit Blick auf die Gesamt-AfD seit einiger Zeit von „der neuen NPD“ spricht.

Beide Teilorganisationen werden auf etwas über hundert Personen geschätzt, wobei der Bericht das Faible vieler JA-Mitglieder für den Flügel hervorhebt. Diese Überschneidung war besonders bei zwei Ereignissen zu beobachten, die im Bericht immer wieder vorkommen: das Flügeltreffen mit Höcke in Greding und einen Tag später der gerichtlich durchgesetzte Frühschoppen der JA im Münchner Norden, ebenfalls mit dem Thüringer Landesvorsitzenden. Die Verfassungsschützer zitierten ausführlich aus den Reden Höckes von den beiden Tagen. Zudem unterstützte die JA Bayern die beiden stark von Flügel-Anhängern geprägten AfD Landesverbände Thüringen und Brandenburg bei deren Landtagswahlkämpfen.

Junge Alternative und Flügel fügen sich neben NPD und IB gut ein

Der Berichtsaufbau in Bayern zeigt traditionell zu Beginn eines Kapitels Schnittmengen der beobachteten Organisationen und Parteien auf, bevor er in die Einzeldarstellung übergeht. Als Fremdkörper wirken JA und der Flügel dort nicht, wenn etwa unter den Themenfeldern von „Islamfeindlichkeit“ und „Agitation gegen Flüchtlinge“ durch (bisher) NPD, III.Weg oder rassistischen Bürgerwehrgruppen die Rede ist und der „Instrumentalisierung von Straftaten“.

Mahnwache der AfD München bereits mit kampgnenartigen Material – 3. August 2019

So hat eben nicht nur die NPD die Tat vom Frankfurter Hauptbahnhof für eine Kampagne verwendet oder im Spot zur Europawahl von „ausländischen Messermännern“ gesprochen, den das ZDF nicht ausstrahlen wollte. Je weiter der Leser in den Kapiteln voranschreitet, desto fraglicher wird, ob sich die einzelnen Punkte, etwa die Verwendung von Theoremen und Narrativen wie „Volkstod“, „Großer Austausch“ und „Umvolkung“ wirklich nur auf Junge Alternative und Flügel begrenzen und von der Rest-AfD abgrenzen lassen. Solche Gedanken in früheren Berichten nur bei der Identitären Bewegung „festzustellen“ wirkte damals schon willkürlich.

Etwas fremd wirken sie nur in den Themenbereichen, wenn es Richtung klassischer Neonazismus geht. Das dürfte der neurechten Ausrichtung geschuldet sein, wobei sich bei genauer Analyse auch hier Punkte finden lassen dürften für etwa einen verharmlosenden Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus. Der Bericht geht tatsächlich an einer Stelle auch tiefer, wenn er auf Antisemitismus blickt und findet dafür Anhaltspunkte bei der AfD, obwohl sie sich ja offiziell betont juden- und israelfreundlich präsentieren möchte

Bei der Münchner AfD fiel besonders Iris Wassill mit Bezügen zu Soros auf – bei der Kommunalwahl war sie Spitzenkandidatin für den Stadt und zieht in die Gremium ein

Im Bericht wird sich nicht auf den rassistischen Antisemitismus beschränkt, sondern auch Antizionismus und sekundärer Antisemitismus einbezogen und tiefer hinter Metaphern und Bildsprache geblickt, etwa welche Zwecke Kampagnen gegen den amerikanisch-ungarischen Milliardär George Soros verfolgen, wie sie in der AfD ja gang und gäbe sind.

Bericht redet Bedeutung des Flügels eher klein

Konsequenterweise stehen Junge Alternative und Flügel dann auch gleich im Kapitel Rechtsextremismus vor der dahinsiechenden NPD und dem eigentlich wichtigeren III.Weg. In der Analyse bleibt das bayerische Landesamt bei den schon vom Bundesamt gegenüber den beiden Gruppierungen erhobenen Vorwürfen: Angriff auf die Würde des Menschen durch die Propagierung eines ethnisch homogenen Volksbegriffs und Verweigerung der elementaren Rechtsgleichheit für Personen, die dem nicht angehören. Der Flügel wende sich zudem gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

Bis auf eine ungefähre Größenangabe mit etwa 110 Anhängern in Bayern, vermeidet der Bericht allerdings eine genauere Betrachtung, „wie viel“ Flügel im bayerischen Landesverband steckt und wirkt eher verharmlosend. So werden die beiden ehemaligen AfD-Landesvorstandsmitglieder Benjamin Nolte und Georg Hock namentlich nicht zitiert, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, das beide danach aus dem Landesvorstand ausgeschlossen und beim Parteitag in September nicht wiedergewählt worden seien.

AfD-Basis stürzte Landesvorstand für Ordnungsmaßnahmen

Die Passage erweckt stark den Eindruck, hier habe der Landesvorstand für den Verband erfolgreich die Reißleine gezogen und den Tendenzen einen Riegel vorgeschoben. Dem war aber nicht der Fall. Bei dem angesprochenen Wahlparteitag hätte die AfD-Basis die Chance gehabt, den Landesvorstand um den Nürnberger Bundestagsabgeordneten Martin Sichert zu stützen oder zu stürzen und entschied sich bekanntlich für letzteres. Besonders der Justiziar des alten Vorstands, der frühere Landshuter Oberstaatsanwalt Wolfram Schubert, bekam den Zorn seiner Parteifreunde ab und fiel bei den Wahlen zum Vorstand später durch.

2019-06-17 Erhard Brucker mit Michael Stürzenberger – einer von zahlreichen gemeinsamen Auftritten. Als der Regensburger im September in den AfD-Landesvorstand gewählt wurde, konnte er auf weniger als ein Jahr AfD zurückblicken aber dafür auf gut zeh Jahre im extrem rechten Milieu

Das Verhältnis der neu Kandidierenden zu den wohl rund 20 Ordnungsmaßnahmen war bestimmendes Thema in den Fragerunden vor dem jeweiligen Wahlgang. Und auch wenn Katrin Ebner-Steiner nicht Landesvorsitzende wurde, sind Flügel und Flügel-Fans im neuen Vorstand sehr gut vertreten. Mit dem Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller und dem Landtagsabgeordneten Martin Böhm sind zwei der drei stellvertretenden Landesvorsitzenden offen Flügel-Anhänger. Die beiden Schriftführer im neuen Landesvorstand, der Landtagsabgeordnete Ferdinand Mang und die Kelheimer Vorsitzende Elena Fritz waren zumindest beide beim Mai-Treffen des Flügels in Greding. Mang trägt im Bayerischen Landtag die Linie von Ebner-Steiner mit.

Mit dem Regensburger Erhard Brucker wurde ein politischer Weggefährte des Islamfeindes Michael Stürzenberger, Pegida-Redner und Aktivist für die beobachtete „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) zum Beisitzer gewählt, obwohl er erst 2019 in die Partei aufgenommen wurde. Müller wurde gar gewählt, obwohl er noch auf dem Parteitag für seine „wirtschaftspolitischen Vorstellungen“ kritisiert wurde, die vorsehen, „als illoyal“ bezeichnete Wirtschaftsunternehmer ähnlich wie die Kanzlerin zu bekämpfen und auszutauschen, da sie mit einem „globalistischen Bazillus überinfiziert“ seien. Thesen, die ziemlich nach Gleichschaltung klingen.

Stürzenberger kein Journalist

Weiterhin mit einer eigenen Kategorie ist Michael Stürzenberger im Berich im Kapitel „verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit“ vertreten. Auch hier gibt es interessante Neuerungen. Die bayerischen Behörden sehen den Autoren für den Hetzblog „PI News“ immer noch nicht als klassischen rechtsextremen Akteur, rücken ihn aber näher an die Szene heran. Die bayerischen Geheimdienstler machen das an seiner Zusammenarbeit etwa mit Martin Sellner deutlich.

Erstmalig für den Bericht setzen sich die Verfassungsschützer auch mit den Methoden Stürzenbergers auseinander. So heißt es, sein Kalkül sei, unter den Zuhörern seiner Veranstaltungen „aggressive Reaktionen zu provozieren und dadurch spektakuläre Bilder einzufangen“. Und weiter: „Durch die gezielte Auswahl der Sequenzen werden insbesondere Kritiker und Muslime als generell aggressiv und konfliktorientiert dargestellt.“

Bei (vermeintlichen) Muslimen werde dann das Verhalten Einzelner in pauschalisierender Form auf ihre Zugehörigkeit zur Religion des Islam und eine vermeintliche unabänderliche Prägung durch den Islam zurückgeführt. Deshalb weist auch der Bericht darauf hin, dass Personen, die sich von Stürzenberger in Diskussionen verwickeln lassen später online in negativer und verzerrter Weise dargestellt werden könnten. Letztlich dienten die vordergründig journalistischen Aktivitäten des PI-News-Autors seinem politischen Aktivismus, so das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz.

Stürzenberger mit Kameramann Stefan Bauer auf direkter Tuchfühlung mit Gegendemonstranten, USK sichert ihn ab. Eigentlich ist er opponierender Aktivist und kein Journalist, deutet nun Verfassungsschutz an- Foto: JA-Frühschoppen in München Mai 2019

Diese eindeutige Bewertung, Stürzenberger sei eigentlich kein Journalist, überrascht, gerade mit Blick auf den Alltag bei politischen Veranstaltungen. Hier bekam der Aktivist schon einige Male direkten Begleitschutz von Polizeikräften, um direkt auf Tuchfühlung mit Gegendemonstranten bei AfD-Veranstaltungen zu gehen und wie oben beschriebene Videos anzufertigen.

Im Arbeitsalltag machen Journalisten bei Berichten über die extrem rechte Szene gerne auch andere Erfahrungen mit den Einsatzkräften. Etwa, wenn der Zugang zu einem Versammlungsraum mit dem Argument verwehrt wird, die Person könne nicht geschützt werden. Bei Streit etwa in Diskussionen um das Recht am eigenen Bild, schieben Beamte gerne mal die Schuld auf die Fotografen, die allein mit dem Anfertigen von Bildern auch aus der Entfernung „provozieren“ würden. Zu denken wäre auch, dass Medienhäuser für Berichterstattungen von Pegida Demos Personenschutz für ihre Mitarbeiter engagieren müssen, um eine Berichterstattung zu ermöglichen.