Extrem rechts dominierte Anti-Corona-Proteste in Deggendorf

Ziemlich simple Kritik am RKI-Präsidenten - im Hintergrund redet Ulrich Pätzold - 15.Juni 2020

Seit drei Wochen treffen sich montags in der niederbayerischen Stadt zwischen 30 und 50 Personen am Luitpoldplatz, um gegen die aktuell noch verbliebenen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie zu protestieren. Die maßgeblichen Akteure sind alte Bekannte aus der extrem rechten Szene.

Die Durchführung der Kundgebungen lag bisher eindeutig in den Händen des ehemaligen NPD-Bundesvorstandsmitgliedes Ulrich Pätzold, früher auch in der Deutsche Partei aktiv. 2019 rief er in einem Werbevideo zur Wahl der zwei Mal vom Verbot bedrohten Partei auf. Pätzold führt weitgehend durch die Veranstaltung und moderiert weitere Rednerinnen und Redner an, soweit es sie gibt.

Typische Inhalte für Anti-Corona-Demonstrationen

Inhaltlich blieb er bei seinen Reden am 15. und 22. Juni bei den Argumentationen, wie sie von anderen „Hygiene-Demos“ oder „Corona-Rebellen“ bekannt sind, bzw. Pätzold vereinfacht sie noch. So wird so getan, als ob die Regelungen in Bund und Ländern in einer Art „Gesundheits-Diktatur“ alleine auf den Ansichten von Gesundheitsminister Jens Spahn und den zwei bekanntesten Wissenschaftlern, Christian Drosten und Lothar Wieler als Leiter des Robert-Koch-Instituts basieren würden. Wieler wird wegen seiner Ausbildung als Veterinärmediziner nonchalant jede Fachkenntnis zu Seuchen und Infektionen abgesprochen.

Ulrich Pätzold ist der maßgebliche Akteur der Proteste – 15.Juni 2020

Dem stellt Pätzold eine Initiative „Ärzte gegen Aufklärung“ gegenüber. Die Qualität von deren Aussagen haben die Faktenchecker von Correctiv kürzlich unter die Lupe genommen und einen Beitrag über Impfungen als „größtenteils falsch“ eingestuft. Der kolportierte oder vollzogene Rückzug einiger rechtsgerichteter Staatschefs, die mit der Bewältigung der Corona-Pandemie im eigenen Land überfordert sind aus der Weltgesundheitsorganisation wird gegen die WHO gewertet, ebenso das Engagement der Bill und Melinda Gates Foundation, der rein ökonomische Interessen nachgesagt werden.

Zu Pätzold weiteren Quellen und mitgeführten Unterlagen bei seinen Reden gehört etwa das Taschenbuch „Compact aktuell – Corona: Was uns der Staat verschweigt“ vom April 2020. Das Magazin rund um Jürgen Elsässer ist kürzlich erst zum Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz erklärt worden.

Oder auch die deutlich weniger bekannte „KENT-Depesche“ aus dem „Sabine Hinz-Verlag“ in Kirchheim. Die Publikation wird im Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg für das Jahr 2016 namentlich erwähnt. Darin würden unterschwellig scientologische und anderweitige Verschwörungstheorien vertreten, so die Behörde.

Ordner muss großflächig Tätowierungen abkleben

Unterstützt wird Pätzold als Ordner von Michael K., der früher in diversen extrem rechten niederbayerischen Kameradschaftsstrukturen aktiv war. Im Gegensatz zu anderen Kadern machte er den Transfer hin zur 2013 gegründeten neonazistischen Kleinstpartei „III.Weg“ nicht mit, zumindest nach unseren Beobachtungen des Demonstrationsgeschehens. Das Informationssystem des Bayerischen Landtags führt ihn im Rahmen einer Anfrage der bayerischen SPD namentlich als Mit-Organisatoren eines Rechtsrock-Konzertes 2012 in Ortenburg im Landkreis Passau, bei dem die Bands „Feldherren“, „Untergrundwehr“, „Racial Purity“ und «Oidoxie“ aufgetreten waren.

Zweiter, jeweils als Ordner auftretender Aktivist, ist Thomas E., der ebenfalls schon länger in NS-nahen Organisationen aktiv war und ist. Bei der ersten Kundgebung trat er in der Jacke eines „Regiment Deggendorf“ auf. Logo war am Rücken ein Schlagring, vorne zwei gekreuzte Baseballschläger mit dem Szenecode „18“. Die darauffolgende Woche versah er seinen Ordnerdienst in einem „Blood Brothers Niederbayern“-Sweatshirt. Bei kürzeren Kleidungsstücken muss E. diverse seiner Tattoos abkleben. Nicht verboten, aber politisch eindeutig positioniert er sich am Hals mit einem „100% White“-Motiv.

Rechtsrock und Reinhard May in den Pausen

Am 8. Juni nutzte ein ebenfalls extrem rechts stehender Order einen Schirm mit aufgedruckten gekreuztem Hammer und Schwert, um Fotografen zu behindern. Das Motiv, das in der Vorstellung des Nationalsozialismus die „Volksgemeinschaft“ aus „Arbeitern und Soldaten“ symbolisieren sollte, erfreute sich zuletzt beim verbotenen Freien Netz Süd großer Beliebtheit.

Die Pausen zwischen den Reden werden entweder mit Liedern von Reinhard May gefüllt oder mit Rechtsrock-Balladen. Am 15. Juni wurde beispielsweise das Lied „Zeit zu rebellieren“ von Annett Müller abgespielt, das Teil der Schulhof-Kampagne der NPD war und sich in der Szene trotz des Ausstiegs Müllers weiterhin großer Beliebtheit erfreut.

Brenzlige Situationen bei der Abreise Quelle: https://twitter.com/annewild_muc/status/1275140778386509825

Auch von den Teilnehmern können nach Einschätzung der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" gut die Hälfe der extrem rechten Szene zugeordnet werden. Die bei Neonazis beliebte Marke Thor Steinar wird am Platz offen getragen. Von Seiten der neonazistischen Kleinstpartei III.Weg nahm die Europakandidatin Jasmine Eisenhardt zwei Mal teil, aus München kam der „Stützpunktleiter“ Karl-Heinz Statzberger am 15. Juni extra nach Deggendorf, eventuell um die Konsequenzen aus dem Rücktritt des Landesvorsitzenden Walter Strohmeier zu besprechen. Ein anderer Teilnehmer sympathisiert auf seinem Shirt mit dem verschwörungsideologisch eingeordneten Portal SchrangTV.

Teilnehmer am 8.Juni mit Maske, die Gesichtspartie Hitlers zeigt (c) DGB Niederbayern

Tiefpunkt war allerdings die Teilnahme eines Mannes bereits bei der ersten Kundgebung. Seine Maske war mit dem Konterfei Adolf Hitlers bedruckt. Auch dieser regelmäßige Teilnehmer musste wie Ordner E. einiges abkleben.

AfD-Anhänger ohne Berührungsängste

Trotz der mehr oder minder offenen extrem rechten Kennzeichen machen Teilnehmer aus dem bürgerlichen Spektrum noch etwa die Hälfte der Kundgebung aus. Auch die AfD ist jeweils mit einigen Personen vertreten. Letzten Montag gesellte sich Stadtrat Leopold Till zu den Protestierenden. Eine andere Stadträtin soll die Veranstaltung in den Reihen der Schaulustigen verfolgt haben.

AfD-naher Teilnehmer mit derben Botschaften – 22.Juni 2020

Regelmäßig nahm ein Mann teil, der durch ein Selfie mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden Katrin Ebner-Steiner etwas Bekanntheit erlangte, bei dem er einen gelben Stern mit Bezug zum Impfthema trug. Für seine durchaus derben Botschaften wie „Wir begrüßen die DDR 2.0 und die neue Diktatur“ oder „Ein Affe würde niemals dem dümmsten der Sippe die Führung übergeben“ nutzte er alte AfD-Plakate. Ebenso nahm die jugendliche AfD-Anhängerin teil, die das viel diskutierte Selfie in den sozialen Medien verbreitet hatte.

Für den kommenden Montag ist wieder eine Veranstaltung geplant.

Fotos vom 15.Juni gibt es hier auf FLICKR

Fotos vom 22.Juni gibt es hier auf FLICKR