Hygiene-Konzept durchgehend gebrochen – Freilassing: Polizei ermöglichte Pandemieleugnern „tollen Tag“ an der Grenze zu Österreich

Etwa 2000 Personen aus dem ganzen süddeutschen Raum nahmen am Samstag in Freilassing auf der deutschen Seite an einer Doppeldemo an der Grenze zu Österreich teil. Das Hygienekonzept wurde zu keinem Zeitpunkt eingehalten. Die Einsatzleitung der Polizei verzichtete selbst auf rudimentäre Versuche, die Auflagen durchzusetzen und konnte deshalb auch von einem ruhigen und friedlichen Verlauf sprechen.
Pandemieleugner auf beiden Seiten der deutsch-österreichischen Grenze hatte für den Samstag zunächst mit einer gemeinsamen Kundgebung auf der Grenzbrücke über die Saalach geplant. Beflügelt wurde diese Veranstaltung von dem großen Zulauf, die zuletzt Demonstrationen gegen die Anti-Corona-Maßnahmen in Wien hatten. Die Versammlungen arteten ähnlich den Großdemonstrationen in Berlin und Leipzig aus.
In Deutschland hält die vom Verfassungsschutz beobachtete Stuttgarter Initiative Querdenken 711, die das logistisch stemmen könnte, momentan eher still. Die vom Veranstalter angemeldeten Zahlen entsprachen dem Bild: 2000 auf der Salzburger Seite, lediglich 200 für die deutsche Seite. Am Ende kehrten sich Verhältnis allerdings um. Für die österreichische Seite wurden von Behörden nur rund 500 Teilnehmer gezählt.
Während die handelnden Protagonisten in Politik und Wissenschaft mit Blick auf die als ansteckender geltenden Mutationen des Sars-Cov-2-Viruses vor vorschnellen Lockerungen warnen, zeigte die Einsatzleitung der Polizei gestern keinerlei ernsthafte Bemühungen, die pandemiebedingten Auflagen auch nur ansatzweise zu forcieren.
Das Hygienekonzept, maßgeblicher Bestandteil, ohne das es in diesen Zeiten eigentlich keine Versammlung geben kann, wurde gestern von Anfang bis Ende gebrochen. Übersichtsaufnahmen zeigen einen Großteil der Teilnehmer ohne Maske und ohne Abstand. Nicht mal direkt an der Absperrung zur Bühne auf der Saalach-Brücke gab es – soweit beobachtet – ein Tätigwerden der Polizei. Die dort eingesetzten Einsatzkräfte beschränkten sich darauf, die eine oder andere Glasflasche in der Menge zu monieren. Ein Kontrolle der Maskenverweigerer auf Atteste konnte nicht beobachtet werden.
Taktisches Verhältnis
Von Seite der Veranstalter gab es drei Durchsagen. Zumindest hier scheint die Einsatzleitung den Bruch der Auflagen einige Male moniert zu haben. Geändert hat sich durch die Durchsagen allerdings nichts. Neu war lediglich, dass nicht mehr ganz so offensiv und explizit wie bei früheren Versammlungen aus dem Lager der Pandemieleugner gegen Bestimmungen polemisiert wurde. Als sich ein Musiker gegen die Maskenpflicht aussprach, intervenierte der Versammlungsleiter, er solle das bitte zurücknehmen, für heute.

Auch Querdenker-Anwalt Markus Haintz, dessen Ableger in Ulm ebenfalls vom Verfassungsschutz Baden-Württembergs beobachtet wird, forderte auf, wer könne, solle Masken tragen. Auch er dürfte gemerkt haben, wenn er allzu offensiv gegen Bestimmungen agiert, fällt ihm das bei seinen eigenen Anmeldungen spätestens in der gerichtlichen Auseinandersetzung um Auflagen mit Blick auf seine Zuverlässigkeit auf die Füße.
Im Grunde ist gestern erneut die Lage eingetreten, die bereits das Bundeskriminalamt in seinem zuletzt eher selektiv zitierten Papier „Aktuelle Entwicklungen im Protestgeschehen im Kontext der Covid-19-Pandemie“ Ende November 2020 festgestellt hatte. Während kleinere Versammlungen im Rahmen verlaufen, ohne größere Verstöße, wohne „insbesondere den teilnehmerstarken Versammlungen ein deutlich erhöhtes Eskalationspotential inne“. Diese seien „häufig geprägt von einer geringen Akzeptanz polizeilicher Maßnahmen und von erheblichen Verstößen gegen geltende Hygiene- und Abstandsregeln.“
Die Polizei gestern ließ sich trotz dieser bereits seit letztem November vorliegenden Analyse wieder „überraschen“, traf keinerlei Vorkehrungen, die Zahl der Teilnehmer in einem beherrschbaren Umfang zu halten und goutierte die massiven Brüche der Auflagen noch mit dem Etikett „friedlicher Verlauf“. Entsprechend groß fiel am Ende der Dank der Veranstalter an die Polizei aus.

Die einzige echte Vorkehrung, die durchgesetzt wurde, bestand in der Trennung der Teilnehmer auf die jeweilige Grenzseite. Aber auch hier wussten sich die Veranstalter zu behelfen. Das Mikro wanderte jeweils von der einen auf die andere Grenzseite, auch wenn das durchgängig zu technischen Problemen führte.
Die Redner sprachen jeweils beide Seiten immer wieder an, etwa mit Parolen gegen die jeweiligen Regierungschefs in Berlin, München und Wien. Auf Twitter wurde gemeldet, eine Streamerin wäre von der Polizei angehalten worden, weil ein Grenzübertritt als Einreise gewertet werden würde und entsprechende Folgen hinsichtlich Corona-Test und Quarantäne auslösen würden. Auf der Brücke war allerdings von diesen Beschränkungen wenig zu merken. Immer wieder marschierten Organisatoren, ihnen nachstehende Filmer wie etwa vom reichsbürgerlastigen Kanal ThomMaxx-Tv oder der Kauferinger Arzt Rolf Kron auf der Brücke hin und her.
Verschwörungsmythen
Inhaltlich blieb die Versammlung im gewohnten Rahmen. Der suspendierte Polizist Bernd Bayerlein, Vorstand im Verein «Polizisten für Aufklärung» verbreitete die Falschinformation von der angeblichen Unfruchtbarkeit als Folge einer Covid-19-Impfung, Alexandra Motschmann, zentrale Akteurin der oberbayerischen Querdenker-Szene und Teil der «Frauenbus-Tour» sprach in einem Gedicht auch „The Great Reset“ an. Unter Experten gilt dieses Narrativ als nächster großer Verschwörungsmythos nach Covid und der Kampagne gegen das Impfen, weil die Erzählung auf die wirtschaftlichen Veränderungen der Wirtschaft Bezug nimmt und damit ein Stück unabhängig wird vom aktuellen Pandemiegeschehen.

Auch auf österreichischer Seite gab es ein – wohl aus dem Umfeld der Identitären stammendes – Plakat zum „Great Reset“. Die IB hatte vor einigen Jahren in Freilassing noch für geschlossene Grenzen demonstriert, am Samstag schloss sie sich einem gegenteiligen Aufruf an. Auch eine Rednerin aus einer Initiative gegen die partielle Masernimpfpflicht kam zu Wort. Sie wollte allerdings nicht Impfgegnerin genannt werden. Bei Masern braucht es wegen der hohen Ansteckungsgefahr eine Immunität von 95 Prozent der Bevölkerung, um die Krankheit wirksam einzudämmen. Bei Sars-Cov-2 ist die Quote wesentlich geringer und wird bei rund 70 Prozent angegeben.
Nicht reden durfte hingegen der kommissarische Landesvorsitzende der AfD Bayern, der Bundestagsabgeordnete Hans-Jörg Müller. Das war wohl einzig dem Konzept der Veranstalter geschuldet, keine Partei mit ins Boot zu holen. Er wurde von einem Redner allerdings ausdrücklich erwähnt, für seine Rolle als Ordner gelobt und pflegte im Bühnenbereich ein durchaus inniges Verhältnis zu den zentralen Akteuren der Szene. Auch er trug durchgehend keine Maske
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