Hintergrund – Querdenker wollen Landtag auflösen

Hinter dem Bündnis „Landtag abberufen“ stehen maßgeblich Aktivist und Organisationen der bayerischen Querdenker-Szene. Die Macher wollen formal aber unabhängig sein. Mitgliederstarke Unterstützer aus der demokratischen Zivilgesellschaft gibt es nicht. Interessant wird sein, wie sich die AfD Bayern insgesamt zum Vorhaben positioniert
Formal sehen sich die Organisatoren als unabhängig von Querdenken. Die Verbindung wurde im Zuge der ersten Medienberichterstattungen fast durchgängig gezogen. Querdenken sei ein wichtiger Teil des Bündnisses, hieß es gestern in einem Stream, in dem die Macher den Zeitplan bis September vorstellten, denn auch die Pandemieleugner würden sich „für die Demokratie einsetzten“. Insgesamt sind die Verbindungen aber trotz des leichten Dementi überdeutlich.
Ein gehöriger Teil der Unterschriften dürfte in der Szene und bei deren Kundgebungen gesammelt worden sein. Parallel zur Übergabe der Unterschriften an das Staatsministerium des Inneren fand eine Kundgebung der Querdenker-Szene vor dem Ministerium statt. Die Bühne und Lautsprecheranlage stellte damals Bernd Thomas Dreyer von der Querdenker-Abspaltung „Bayern steht zusammen“.
Wer Informationen zum Vorhaben sucht, wird hauptsächlich auf deren Internetseite, aber auch in Telegram-Kanälen fündig. Im zentralen, aber wohl nicht offiziellen Kanal VolksbegehrenBY, zuletzt dank Werbung auf etwa 1.000 Mitglieder angewachsen, werden querdenkertypische Inhalte verbreitet bzw. die Nachrichten der zentralen Akteure wie etwa vom Profil „Ullimysecrets“ geteilt. Aber auch AfD-Mitglieder und mindestens eine zentrale Aktivistin von Pegida mischen in dem Kanal mit.
Querdenkernahe WirPartei
Auf der zugehörigen Webseite https://buendnis-landtag-abberufen.de gibt es offen gezeigte Verbindungen zu einer WirPartei. (Zusatzbezeichnung Wahrheit-Information-Rechtschaffenheit) bzw. WirPartei – Gemeinschaft der Bürger. Der Vorsitzende Joachim Layer und Mitvorstand Gerhard Estermann wollen sich zunächst in Bodo Schiffmanns Querdenker-Partei Widerstand2020 engagiert haben. Nach dem Zerfall des Projekts gründeten beide Anfang Oktober 2020 die WirPartei mit, deren erstes Ziel direkt die Abberufung des Landtages ist.
Die WirPartei fordert unter anderem die Ausweitung der Befugnisse der Polizei „um wirklich Ordnung schaffen zu können“, aber auch den Ausbau des Remonstrationsrechtes, worauf Querdenker immer wieder rekurriert haben. Weitere Forderungen sind die Abschaffung der Erbschafts- und Prüfung der Grundsteuer und auf ein Minimum gesenkte Steuersätze. Personen ohne Bleiberecht sollen ohne Verzögerung abgeschoben, jede Form von Impfzwang unter Strafe gestellt werden. Die Krankenkassen sollen homöopathische und osteopathische Heilbehandlungen zu 100 Prozent übernehmen.
Beworben wurden auf der Seite der Partei als „zusätzliche Medien für kritische Bürger“ Seiten und publizistische Projekte, die in der Pandemie häufiger oder ausschließlich die Position der Querdenker-Szene eingenommen haben: Epoch Times, ScienceFiles, die Seite von Boris Reitschuster, RT Deutsch, Nachdenkseiten, Nordkurier , Multipolar Magazin, Achse des Guten, Rubikon oder der Sender ServusTV, der etwa Sucharit Bhakdi lange eine Plattform bot.
„Gegenwind“ für Söders Corona-Politik
Verantwortlich für die Seite sind laut Impressum Joachim Layer, 1. Vorstand der WirPartei und der zentrale Querdenken-Aktivist im Freistaat, der ehemalige Münchner Polizeihauptkommissar Karl Hilz.
Öffentlich tritt für das Bündnis neben Hilz noch der ehemalige Unternehmer Gerhard Estermann (Raum Rosenheim) in Erscheinung. Er reichte auch zusammen mit einem Helfer die Unterschriften beim Innenministerium ein. Laut Ministerium stehen hinter dem Volksbegehren neben der WirPartei noch Querdenken 089 München und Querdenken 8041 Bad Tölz.
Von Gerhard Estermann fanden sich vor Abgabe der Unterschriften zwei Interviews im Internet. Ende Februar bewarb er im Gespräch mit dem rechten Unternehmer Peter Weber auf dessen Plattform „Hallo Meinung“ das Vorhaben. Weber stellt ihn als Gründer der Initiative vor. Laut Estermann hätten sie zu dem Zeitpunkt 50 Mitstreiter in der Gruppe und dazu noch Unterstützer.

Die Sammlung der Unterschriften hätte Ende Oktober 2020 begonnen, was sich auch mit anderen Beobachtungen deckt. So bewarb die frühere Oberbürgermeisterkandidatin der Weidener Grünen, Sonja Schuhmacher (inzwischen Partei Die Basis), auf der Bühne der Querdenker-Versammlung vom 24.10.2020 noch mit einem handgemalten Schild mit der Webseite das Vorhaben. Als Begründung reichte auf der Bühne der Satz, Ziel sei «Gegenwind für Söder und seine Erfüllungsgehilfen».
Unternehmensstrukturen sollen Parlamentarismus ersetzen
Estermann gibt im Interview den über Jahrzehnte politisch desinteressierten Unternehmer, der durch die Fehler der Politik gesehen hätte, dass sich was ändern müsste. Corona als Begriff vermied er. Auch sprach er lieber von Bürger als vom Volk. Konkrete politische Themen sprach er nicht an. Das Volksbegehren versteht er als Startschuss für mehr Bürgerbeteiligung. Weber legte ihm dann die Schweiz als Vorbild in den Mund, ohne dass Estermann es deutlich bestätigt. In späteren Verlautbarungen bezieht er sich auf die Schweiz. Mittlerweile spricht Estermann von unternehmensähnlichen Strukturen für den Staat. In Unternehmen dürfte der Geschäftsführer – er meint hier in seinem Beispiel vor allem die Verwaltung, die er ausdrücklich lobt – bis zu einem gewissen Bereich oder Geldhöhe selbst entscheiden. Alles darüber hinaus „solle dann der Bürger“ regeln. Damit das schneller gehe, soll in einem zweiten Volksbegehren eine Form der digitalen Wahl (wohl eher digitale Abstimmung) eingeführt werden.
In einem eingeblendeten Schaubild wird eindeutig auf Corona Bezug genommen, etwa mit Aussagen, Kultur fände nicht mehr statt, Brauchtum veröde, Wirtschaft und Vereine würden – wohl ohne Not – schwer geschädigt. Weitere Themen waren der „Brenner Basis Tunnel, LKW-Blockabfertigung, Theater um Windräder und Ärger mit Stromtrassenführung“. Basierend auf einem wörtlichen Verständnis von Gewaltenteilung würde der Landtag die Regierung nicht mehr kontrollieren und die Abgeordneten „als Marionetten“ nur jeweils der Doktrin ihrer jeweiligen Parteien folgen.
Im Interview mit Markus Gärtner, laut Psiram Redakteur beim Kopp-Verlag mit Nähe zu PI NEWS, hochgeladen am 29.März 2021, bestätigt Estermann die Verbindung der WirPartei zum Vorhaben. Er vermied wieder konkrete politische Themen, auch Corona, und will die Gründe alleine auf angeblich fehlende Beteiligung der Bürger herunterbrechen. Skeptikern aus seinem Umfeld würde er erklären, sie wollten nicht die 17. Partei sein, sondern die erste, die Bürgerbeteiligung wirklich in den Mittelpunkt stelle.
Hilz beruft sich auf Widerstandsrecht
Der ehemalige Münchner Polizeihauptkommissar Karl Hilz bewirbt das Volksbegehren nach außen deutlich aggressiver. Laut seiner Argumentation gebe es einen doppelten Staatsstreich. Die Politik hätte mit ihren Maßnahmen zu Eindämmung der Corona-Pandemie das Grundgesetz außer Kraft gesetzt. Merkel und Söder hätten sich zusammen mit den Ministerpräsidenten des Staates ermächtigt. Er spricht hier durchgängig von einem „Zentralkomitee 2.0“. Zudem hätten die Parteien weit über ihre im Grundgesetz vorgesehene Rolle ebenfalls die Macht im Staat usurpiert. Hilz propagiert öffentlich das Widerstandsrecht im Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz und sieht die Anwendung als eröffnet an.

Ähnlich den Aussagen auf der Internetseite, nur deutlich verbal aggressiver, baut Hilz seine Argumentation auf einem wörtlichen Verständnis von Gewaltenteilung auf, mit einem bekannt falschen Verständnis von Fraktionsdisziplin bzw. Fraktionszwang. Fraktionen seien illegal, weil angeblich vom Grundgesetz nicht vorgesehen. Hilz unterstützt momentan ein Vorhaben des Anwalts Helmut P. Krause, öffentliche Wahlkreiskonferenzen abzuhalten, um dort von den etablierten Parteien „unabhängige Direktkandidaten“ aufzustellen. Die Personen treten dann auch teilweise in Konkurrenz zu den Querdenker-Kandidat:innen von Die Basis auf, wie etwa Hilz selbst im Münchner Norden.
Die zweite Vorsitzende der WirPartei, Susanne Manhart, begrüßte in einem Stream die Zuschauer, sie sei wie Estermann und Layer „auch im Widerstand“. Sie engagiere sich, damit ihre Kinder und Enkel in der Demokratie aufwachsen könnten und nicht in der Diktatur oder dem Faschismus. Beides von Querdenken bekannte Formulierungen.
Wie wollen die Organisatoren eine Million Bürger zur Unterschrift bewegen?
Wie die bevorstehende Anstrengung intern kommuniziert wird, ist unbekannt. Aus den bisherigen Veröffentlichungen spricht auch beim Abzug des Propagandacharakters solcher Verlautbarungen eine naive Vorstellung vom Arbeitsaufwand, genug Bürger in den zwei Wochen der Eintragung zu mobilisieren.
Sowohl von Hilz als auch von Estermann gibt es Aussagen, von den 33.000 bisherigen Unterstützern müsste jeder nur rund 30 bis 35 weitere Personen überzeugen und dann hätten sie die Million schon fast zusammen. Auch sinke die Herausforderung mit der Zahl der Wahlberechtigten, weil die Hürde seit 1946 nicht mehr angepasst worden sei. In einem Video-Update zum Volksbegehren am vergangenen Sonntag wurde sich gegenseitig mit der Aussage Mut gemacht, es reichten etwa 72.000 Unterschriften pro Tag, um die Marke von einer Million zu erfüllen. Das sei machbar, so die Aussage.

Hilz spielt auch öffentlich mit Aussagen, er habe «Infos aus dem Landtag», wonach Söder bei guten Umfrageergebnissen nahe der absoluten Mehrheit selbst zum Antreiber für die Auflösung des Landtags werden könnte. Auch denkt er, die Staatsregierung müsse jeden Bürger anschreiben und auf das Volksbegehren hinweisen.
Die Werbekampagne für die Eintragung soll nun erst nach der Bundestagswahl starten. Vorher halten es die Organisatoren für ausgeschlossen, öffentlich wahrgenommen zu werden. Mitstreiter sollen sich über das Kontaktformular einfinden und angeben, ob sie Flyer und Plakate verteilen wollen, Infostände besetzen, Texte verfassen oder Leserbriefe schreiben wollen.
Laut eines Eintrags im inoffiziellen Telegram-Kanal – Stand 9. August – seien die Organisatoren noch in 38 kreisfreien Städten und Landkreisen auf der Suche nach Unterstützergruppen.
ÖDP winkt ab, wie entscheidet sich die AfD?
Mitgliederstarke Verbände aus dem Bereich der Zivilgesellschaft, Erfolgsgaranten früherer Volksbegehren, unterstützen das Vorhaben nicht. Lediglich Peter Weber hatte Hilfe und Werbung über seine Plattform zugesagt und die Formulare verlinkt. Er hoffe so, die Zahl der Unterstützer weiter zu pushen, was offenbar nicht recht gelungen ist. Noch im März wurde ein Stand von 33.000 Unterschriften verkündet. Der Stand hatte sich bis zur Einreichung Ende Juni nicht erhöht bzw. es mussten Unterstützer aussortiert werden.
Die ÖDP Bayern, die oft mit dem Mittel eines Volksbegehrens Themen setzt, wurde laut Mitteilung des Landesverbandes angefragt, hat aber abgelehnt. Das Volksbegehren sei abwegig und mit den Positionen der wachstumskritischen, konservativ-ökologischen Partei unvereinbar. Der Landesvorstand habe eine Unterstützung bereits ausgeschlossen. Mit Querdenken wolle die Partei nicht zusammenarbeiten und auch nicht mit Personen – gemeint dürfte hier Karl Hilz sein – die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Von den möglichen Partnern aus dem Parteienspektrum jenseits der Querdenker-Parteien Die Basis & Co. bleibt somit noch die AfD. Deren Positionen bei Thema Impfen und Corona dürften weitgehend deckungsgleich sein. Auch bringt die AfD immer wieder Volksbegehren ins Spiel. Einen direkten Aufruf zur Unterstützung hat es von Seiten des Landesverbandes noch nicht gegeben, soweit gesehen. In den vergangenen Tagen positionierten sich bereits der Bundestagsabgeordnete Johannes Huber und der Landtagsabgeordnete Ferdinand Mang als Unterstützer und riefen auf, im Oktober in die Rathäuser zu gehen.
Von Seiten der Organisatoren gibt es bislang keinerlei Anstalten, den Avancen der AfD einen Riegel vorzuschieben. Beim gestrigen Stream, in dem es um die Planungen bis zur Bundestagswahl ging, verkündete in den Kommentaren ein „Marco“, er wolle fünf bis zehntausend Flyer abnehmen für seinen AfD-Kreisverband. Die seien mit den dortigen Helfern „wie nix“ verteilt. Estermann fand das Angebot „top“.