Neonazi-Fackelmarsch in WunsiedelWeniger Teilnehmer, dafür erneut ungestörtes „Heldengedenken“.

Fackelmarsch in Wunsiedel - Das Banner ist eine Anspielung auf ein Rudolf Hess gewidmetes Rechtsrock-Lied

Weniger Teilnehmer, dafür erneut ungestörtes „Heldengedenken“. So lautet das Fazit des gestrigen Neonazi-Aufmarsches der neonazistischen Kleinstpartei III.Weg in Wunsiedel. Im Anschluss gab es eine weitere Kundgebung am Kriegerdenkmal. Die Gegenveranstaltungen zogen deutlich mehr Teilnehmer an.

Etwa 160 bis 180 Anhänger beteiligten sich am Aufmarsch. In früheren Jahren betrug die Teilnehmerzahl meist meist um die 250. Es fehlten vor allem einige der langjährigen Aktivisten und Teilnehmer, etwa auch die bayerische Landesvorsitzende des III.Wegs, Jasmine Eisenhardt oder Bundestagskandidat Christian Uhlstein. Auch aus Ostbayern waren erstaunlich wenige Aktivisten gekommen, wie etwa Thomas E., sonst Ordner bei den Deggendorfer Corona-Protesten. Teilgenommen hat wohl zum ersten Mal auch die Szene-Anwältin Nicole Schneiders, die im NSU-Prozess Ralf Wohlleben verteidigt hatte und kürzlich die langjährige Aktivistin des III.Weges, Susanne Gemeinhardt-Seitz, die für die Vorbereitung eines möglichen Anschlags auf Kommunalpolitiker zu einer längeren Haftstrafe verurteilt wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Übliches Redner-Korps auf der Seite der Neonazis: Julian Bender und Matthias Fischer. Weitere Reden kamen von Tony Gentsch, Karl-Heinz Statzberger und Klaus Armstroff

Auch Thomas Wulff fehlte, der in der Vergangenheit häufiger im Fichtelgebirge weilte und Teile der «Zeremonie» übernommen hatte. Dafür bestand der Aufmarsch aus vielen jungen Gesichtern. Sie sollen über den ritualartig gestalteten Aufmarsch enger an die Neonazi-Partei gebunden werden. Ob hinter der geringen Zahl auch eine generelle Mobilisierungsschwäche zu historischen Themen, wie im Netz teilweise vermutet wurde , steckt, bleibt abzuwarten.

Trotz Verbot viele Anspielungen auf den verurteilten Kriegsverbrecher Rudolf Hess

Die neonazistische Kleinstpartei III.Weg zieht seit einigen Jahren Mitte November durch die Stadt in Oberfranken, um der Kommune zu zeigen, dass sie die Neonazis trotz Auflösung des Grabes von Rudolf Hess „nicht los wird“. Formal ist laut Auflagen eine Anspielung auf den verurteilten Kriegsverbrecher, der einige Zeit auf dem örtlichen Friedhof begraben war, verboten, was die Neonazis aber nicht daran hinderte, dennoch so oft es ging, auf die Person Rudolf Hess abzuspielen.

Blick auf die Aufstellung am Ende der Demonstration

So wird Wunsiedel als „Märtyrerstadt“ bezeichnet und seit Jahren ein Banner mit der Aufschrift „Dein Heldengrab ist überall“ gut sichtbar mitgeführt. Die Liedzeile stammt aus einem Hess gewidmeten Song, der gestern dann auch in voller Länge angespielt werden konnte. Auflagen hin. Auflagen her.

Ebenso werden in Wunsiedel die anwesenden, häufig auch jüngeren Anhänger auf ein unkritisches Geschichtsbild getrimmt, dass jede Distanzierung gegenüber den Verbrechen der Nazis bis hin zur Shoah verbietet. So wurde dann auch explizit der (Waffen-)SS gedacht, codiert als „den Elitenverbänden mit ihren ausländischen Verbündeten“. Erneut konnte die Neonazi-Partei, der jetzt Matthias Fischer vorsteht, dieses Ritual ungestört durchführen. Proteste in Hörweite wurden dieses Mal wohl hauptsächlich von Seiten der Polizei unterbunden. So blieb der Anwohner, der den mit klassischer Musik unterlegten Aufmarsch mit „Scheiß Mucke“ kommentierte, die einzige hörbare Intervention.

Gegenprotest zog es zum Marktplatz oder wurde ferngehalten

Parallel zum Neonazi-Aufmarsch gab es eine Reihe an Gegenveranstaltungen, die sich später am Marktplatz zu einem Konzert trafen. Zum Programm des Tages zählten Lesungen, Andachten und Workshops. Laut Polizei beteiligten sich hier 250 Personen. Parallel dazu zog das antifaschistische Bündnis «Nicht lange Fackeln» mit – nach Eigenangaben – 400 Teilnehmenden durch die Stadt und versuchte in Hörweite der Neonazis zu kommen, wurde allerdings inklusive Rangeleien von der Polizei ferngehalten. Bilder im Netz zeigten Beamte beim Vermessen der Demonstrationsbanner. Im Gegensatz zum laschen Umgang mit den Hess-Anspielungen bei den Neonazis wurde es dort mit den Auflagen offenbar sehr genau genommen.

Neonazis wollen wieder in die Innenstadt

Die Route der Neonazis führte wie in den letzten Jahren durch ein Wohngebiet im Norden Wunsiedels. Das Gebiet ist für einen Aufmarsch eigentlich unattraktiv, kann allerdings von der Polizei gut abgeriegelt werden, was dem III.Weg über Jahre einen ungestörten Aufmarsch sicherte. Dennoch verkündete Tony Gentsch, Inhaber des einzigen kommunalpolitischen Mandats der Partei und Versammlungsleiter, dass er sich um eine andere Route, insbesondere durch die Innenstadt und zum Marktplatz bemühe.

Sprühaktion mit Sophie Scholl Stumme Intervention. Ob sie von den Neonazis unterwegs wahrgenommen wurde?

Durch die Stadt ging es für die Neonazis aus einem anderen Grund. Gentsch hatte offenbar erst im letzten Jahr ein Kriegerdenkmal am Fuß des Katharinenberges entdeckt und dort eine zweite – laut Aussage private – Versammlung angezeigt. Die Polizei forderte die Teilnehmer auf, den Weg dorthin nicht als größere Gruppe und damit möglich Demonstration zurückzulegen, sondern «in Kleingruppen». Das machte die Situation dann unübersichtlicher und damit potentiell gefährlicher für in der Stadt weilende politische Gegner.

Laut Live-Ticker der Frankenpost beteiligten sich dort 45 Neonazis direkt am Denkmal. Hundert Teilnehmer standen auf der anderen Straßenseite «in Reih und Glied». Damit hatte sich fast der gesamte ursprüngliche Aufmarsch an der «privaten» Aktion von Gentsch beteiligt. Auch dort wurden Fackeln entzündet. Dass die zweite Veranstaltung der Neonazis von den Behörden ohne größere Widerstände offenbar durchgewunken wurde, sorgte in der Zivilgesellschaft für einigen Unmut über die Verwaltung. Der im Umgang mit Neonazis erfahrene langjährige Oberbürgermeister Karl-Willi Beck trat bei der letzten Kommunalwahl nicht mehr an und ging in den Ruhestand.

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