Jahresrückblick I: Terroristische und kriminelle Vereinigungen – Gewaltsam gegen die Demokratie

Wichtigstes Ereignis in Bayern war sicherlich – wie in vielen anderen Bundesländern – die Razzia gegen die mutmaßliche terroristische Vereinigung aus dem rechten verschwörungsideologischen Milieu, für die sich mittlerweile der Name „Patriotische Union“ eingebürgert hat.
Bayern war eines der Schwerpunktgebiete. Zu den bekannten Beschuldigten zählen der in Italien festgenommene Oberst a.D. Maximilian Eder, der ehemalige Fallschirmjägeroffizier und ausgebildete Einzelkämpfer Peter Wörner aus dem Raum Bayreuth und der Ansbacher Thomas T., der laut Medienberichten als persönlicher Referent von Prinz Heinrich XIII. Reuß vorgesehen gewesen sein soll. Zum militärischen Arm der Gruppe soll zudem Thomas M. aus dem Raum Forchheim gehört haben. Schlagzeilen machte auch die Festnahme von Frank H., Starkoch in Kitzbühl, dessen Tochter mit David Alaba liiert ist. Auch die Untersuchungshaft gegen Harald P. aus dem Landkreis Schweinfurt wurde mittlerweile vom Ermittlungsrichter bestätigt.

Von den Beschuldigten trat besonders Maximilian Eder öffentlich in Erscheinung. Seine erste Rede im Rahmen der Proteste gegen Corona-Maßnahmen datiert er selbst auf dem Mai 2020 bei der Passauer Initiative „Für die Freiheit“. Auch der Landshuter Verein „Bayern steht zusammen“ bot ihm oft eine Bühne. 2022 sprach er bei der gefloppten Mega-Demo am 30. Januar in Nürnberg oder bei lokalen Protesten in Ostbayern neben AfD-Politikern. Von Berliner Demos ist besonders seine Aussage bekannt, die Bundeswehrspezialeinheit KSK nach Berlin zum Aufräumen zu schicken. Eder hatte in seiner aktiven Bundeswehrzeit Teile davon in Auslandseinsätzen kommandiert. Auch sprach er mit Blick auf die Bundesregierung davon, er wisse, wie man Kriegsverbrecher nach Den Haag bringe. Er präferierte – wie viele in der Szene – aber einen Prozess in Nürnberg („Nürnberg 2.0“).
Von QAnon und Satanic Panic angetrieben
Zuletzt äußerte er sich oft im Sinne des QAnon-Kultes. In einer Botschaft an den verstorbenen Aktivsten Karl Hilz schrieb Eder, er würden dessen angeblichen „Kampf gegen Pädophilie“ bis zum Tod fortführen. Er half in mindestens einem Fall aktiv bei einer Kindesentziehung mit. Eine Frau aus der Schweiz beschuldigte im Sorgerechtsstreit ihren ehemaligen Partner des satanistisch-rituellen Kindesmissbrauchs („Satanic Panic“), wofür es keine Belege gab. Interpol soll Mutter und Sohn dann bei Eder im Bayerischen Wald aufgespürt haben. In einem letzten „Auftritt“ – er ließ sich aus Italien bei einer Kundgebung in München zuschalten – sprach er davon, im Schwarzwald seien tausende Kinder befreit worden. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine deutete er entsprechend um. Es gehe um die Befreiung von Kindern aus „Biolabs“. Auf Fragen von Anhängern stellte er eine Aktion noch vor Weihnachten in Aussicht.
Weitere Aktionen gegen mutmaßlich kriminelle und terroristische Zusammenschlüsse
Jenseits der „Patriotischen Union“ gab es Ende März Durchsuchungsmaßnahmen gegen eine Gruppe im Raum Neumarkt in der Oberpfalz. Den Leuten, die teils auch mit Prepper-Aktivitäten aufgefallen waren, wird vorgeworfen, Anschläge gegen kritische Infrastruktur, insbesondere Stromtrassen, geplant zu haben. Anwohner berichteten gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung auch von Reichsbürger-Thesen. Haftbefehle wurde nicht beantragt, Erkenntnisse über die Auswertung der sichergestellten Daten kamen bisher nicht ans Licht.
Auch gingen die Sicherheitsbehörden gegen einen Mann aus dem Raum Landshut vor, der als Teil der Gruppe „Vereinte Patrioten“ an Planungen zur Entführung Karl Lauterbachs beteiligt gewesen sein soll. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen gegen die rechtsterroristische „Atomwaffen-Division“ war ein Objekt in Neu-Ulm betroffen. Hier wurde niemand verhaftet. Beim Vorgehen gegen einige Mitglieder der Neuen Stärke-Partei durchkämmten die Ermittler auch die Wohnung eines Münchner Anhängers der Kleinstpartei, der sich auch an antisemitischen Aktionen im Raum Ulm beteiligt hatte.
Gravierende Straftaten einzelner Täter
In Coburg zündete ein als Reichsbürger bekannter Mann Ende August den Dienstwagen des Oberbürgermeisters und ein weiteres der Stadt gehörendes Fahrzeug an. Die Flammen griffen glücklicherweise nicht auf die angrenzenden Gebäude über. Er hatte ein halbes Jahr davor mit einer Bombenattrappe dafür gesorgt, dass der Markt geräumte werden musste und auch schon Lokaljournalisten bedroht. Er soll bereits 2016 im Raum Bayreuth einen Sendemast angezündet haben.

Im Juli wurde der Bayreuther SPD-Stadtrat Halil Tasdelen vor seinem Haus rassistisch beleidigt und angegriffen. Folge war doppelter Nasenbeinbruch. Der ermittelte Täter versuchte sich einige Tage später abzusetzen und kam in Untersuchungshaft. Anfang Dezember wurde ein Urteil gesprochen: ein Jahr und drei Monate ohne Bewährung. Der Täter muss zudem ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro zahlen.
Anfang Februar ging die Generalstaatsanwaltschaft München auch gegen einen Rosenheimer Holocaustleugner vor und durchsuchte seine Wohn- und Geschäftsräume. Bernd F. wurde Volksverhetzung in 45 Fällen vorgeworfen. Er soll zudem „zur Jagd auf das obere Verbrechersystem“ und zu dessen „Säuberung“ aufgerufen haben. Bernd F. verwaltete den Telegram-Kanal „King Ather Reveals“. Die Behörden sind auf Nachfrage noch mit der Auswertung beschäftigt.
In München wurde vor allem das Büro der Grünen Landtagsabgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze wiederholt Ziel von Angriffen.
Zahlreiche Vorfälle erreichten 2022 die bayerischen Gerichte
Wegen versuchten Mordes in 56 Fällen muss ein 42-jähriger Versicherungskaufmann fünfeinhalb Jahre in Haft. Er hatte versucht, die u.a. von 22 Kindern und Jugendlichen bewohnte Geflüchtetenunterkunft in Simbach am Inn in Brand zu stecken, was glücklicherweise auch Dank der Aufmerksamkeit eines Bahnmitarbeiters schnell bemerkt wurde. Die Brände waren an den beiden Notausgängen des Gebäudes gelegt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Aussagen in der Tatnacht belegen eine rassistische Motivation.
Am „D-Day 2.0“ 2021, als in Washington Anhänger Trumps das Kapitol stürmten, platzierten in Unterfranken mehrere Anhänger der Querdenken-Szene an Holzleinen gespannte Banner auf einer Bahnstrecke Richtung Schweinfurt. Ein ICE durchfuhr eine Sperre und musste eine Vollbremsung einleiten. Ermittelt werden konnten zwei Tatverdächtige aus der Querdenker-Szene. Der Hauptverdächtige hatte etwa seiner Mutter geschrieben, sie solle am Abend Tagesschau schauen. Er erhielt wegen bestehender Bewährung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Eine Komplizin erhielt neun Monate auf Bewährung. An der Aktion müssen laut Ermittlern noch mehr bislang unbekannte Personen beteiligt gewesen sein. Die Verurteilten legten Rechtsmittel ein.
„Waffen für die AfD?“-Verfahren vor Gericht
Vier Jahre und drei Monate soll Alexander Reichl ins Gefängnis. Der zeitweise für NPD und AfD aktive ehemalige Zollbeamte und Geschäftsmann hatte mit Gesinnungsgenossen Waffen vom Balkan nach Deutschland geschmuggelt. Das Urteil vom 31. Mai ist nicht rechtskräftig. Durch die Aufsplittung der Verfahren wurde der Umfang des Schmuggelrings nicht deutlich. Nur der Haupttäter Reichl und zwei Zwischenhändler mussten sich vor dem Landgericht München verantworten.

Gehilfen, Kuriere und Endabnehmer wurden jeweils einzeln vor den jeweiligen Amtsgerichten angeklagt bzw. steht das Verfahren bei einigen noch aus. Fünf Verfahren wurden an Staatsanwaltschaften außerhalb Bayerns abgetreten. Ungeklärt ist der Verbleib von mindestens zwei halbautomatischen Kurzwaffen, zwei Maschinenpistolen, drei Sturmgewehren und einem weiteren Gewehr. Die Beschuldigten waren laut Staatsregierung bei der NPD aktiv, dem III.WEG und Pegida München. Zudem hingen einzelne Beteiligte Reichsbürger-Gedankengut an. Ein Beschuldigter war Teil des Landesvorstandes der Jungen Alternative Bayern, wird dort aber inzwischen nicht mehr aufgeführt.
Einen vielfach kritisierten „Deal“ ging die Generalstaatsanwaltschaft München mit den angeklagten Neonazis ein, denen vorgeworfen wurde, das im Jahr 2000 verbotene Neonazi-Netzwerk „Blood and Honour“ fortgeführt zu haben. Die neun Angeklagten zeigten sich geständig. Im Rahmen der Absprachen bekamen sechs von ihnen vorher zugesicherte Bewährungs-, die drei restlichen Angeklagten Geldstrafen. Der „Deal“ verhinderte aus Sicht der Neonazis auch, dass im Rahmen der öffentlichen Beweisaufnahme etwaige weitere Namen, Treffen und Beziehungsgeflechte von den Ermittlern thematisiert werden konnten.