Nach Entscheidung zur Lieferung von Leopard-PanzernVerschwörungsideologen setzen weiter auf NS-Vergleiche

Die Köpfe hinter "München steht auf"(MSA) Melchior Ibing und Benny - Archivbild
Die Köpfe hinter "München steht auf"(MSA) Melchior Ibing und Benny - Archivbild

Letzte Woche einigten sich einige westliche Staaten, die Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg auch mit Kampfpanzern westlicher Bauart zu unterstützen. Nachdem militärische Hilfen für das angegriffene Land schon vorher auf Ablehnung der Querdenker stießen, wurde erneut der Ton verschärft. Wie schon in der Debatte um Impfstoffe war keine Anspielung zu geschmacklos.

Am 24. Februar jährt sich zum ersten Mal der Beginn des russischen Angriffs auf den südwestlichen Nachbarn. Nachdem die schnelle Einnahme Kiews scheiterte, konzentrierte sich Putin auf die östlichen Gebiete, die ins russische Staatsgebiet einverleibt werden sollen. Der Versuch, in Europa erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder mit militärischer Gewalt Grenzen zu verschieben, wird oft als Zäsur gesehen.

Mehrfach entdeckten ukrainische Behörden in befreiten Gebieten Massengräber und Hinweise auf Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Zudem führte die russische Armee mit Drohnen und Raketen gezielte Angriffe auf die zivile Infrastruktur durch. Im Frühjahr wird mit einer neuen Offensive gerechnet. Um das angegriffene Land gegen den weitaus besser gerüsteten Nachbarn zu unterstützen, erhielt die Ukraine humanitäre, militärische und logistische Unterstützung auf Basis von Artikel 51 der UN-Charta, dem Recht zur Selbstverteidigung. Nachdem über den „Ringtausch“ zunächst hauptsächlich militärisches Material russischer Bauart geliefert wurde, erhält Kiew nach Flugabwehrgeräten, Schützenpanzern nun auch Kampfpanzer vom Typ Leopard, Abrams und Challenger.

Die verschwörungsideologische Szene, Impfgegner und die Mehrheit der extremen Rechten standen von Beginn des Krieges direkt und indirekt auf der Seite Putins, teils auch in Bewunderung seines gegen Demokratie, Pluralismus und Schutz von Minderheiten gerichteten Regierungssystems.

NS-Vergleiche

Auf der ersten größeren Versammlung der verschwörungsideologischen Szene in München, organisiert von „München steht auf“ (MSA) wählte Melchior Ibing, Kopf der Münchner Szene, krude Vergleiche zum NS-Regime. Obwohl die Panzer den Ukrainern helfen sollen, ihre territoriale Integrität zu verteidigen, sprach er davon, „80 Jahre nach Stalingrad sollen wieder deutsche Panzer gegen Russland rollen“. Obwohl der russischen Föderation keinerlei Verlust eigenen Gebiets droht, sich im Gegenteil Gebiete eingliedern möchte, sprach Ibing davon, den USA ginge es darum „Russland zu vernichten“. Waffenlieferungen seien ein „Verbrechen“. In dem Krieg gehe es „anscheinend um Lebensraum für die anglo-amerikanische Oligarchie“.

Kommentare unter einem Video von Ibing im Telegram-Kanal von München steht auf MSA – Screenshot Telegram

Damit hatte der Sprecher von MSA die zentralen Aspekte, mit denen das „Unternehmen Barbarossa“ kategorisiert wird, aufgegriffen und die Entscheidung der Bundesregierung zur Lieferung von Panzern in die Tradition des verbrecherischen Vernichtungskrieges um Lebensraum gestellt. Die Rede spiegelte auch die Stimmung unter den Anhängern wider. Als einer der ersten Kommentare im Telegram-Kanal von MSA bemühte ein regelmäßiger Teilnehmer und Teil der Trommlergruppe die Worte Hitlers aus dessen Reichstagsrede zum Krieg mit Polen, „seit 5:45 Uhr“ werde nun „zurückgeschossen“.

NS-Vergleiche haben Tradition

Derartige Anspielungen sind in der verschwörungsideologischen Szene und bei radikalisierten Impfgegnern nicht neu. Egal ob mit gelben Sternen, weißen Rosen, „Södolf“-Motiven, umgestalteten KZ-Toren oder dem Sprechen von „Ermächtigungsgesetzen“ gegen die Corona-Pandemie, die Szene griff immer wieder zu geschichtsvergessenen Vergleichen. Das diente vor allem dazu, die eigene Position asymmetrisch zu legitimieren, auf Kosten der Gegenseite und der demokratisch legitimierten Staatsgewalt. Die Logik: Wer sich einem Staat so bösartig wie das NS-Regime gegenübersieht, der braucht nicht mehr den erlassenen Regeln zu folgen, der ist auch zum Widerstand, bis hin zu tödlicher Gewalt, scheinbar legitimiert. Der entsprechende Artikel 20 Absatz 4 im Grundgesetz ist deshalb nicht nur in der extremen Rechten, der rassistischen Pegida-Szene, sondern auch im verschwörungsideologischen Milieu beliebt.

Oft beschworen, um eigenen Ansinnen scheinbare Legitimität zu verleihen – Archivbild Querdenker-Demo 13.März 2021

Höhepunkt des NS-Vergleichs war sicher die Veranstaltung zum „Nürnberger Kodex“ im August letzten Jahres. Die Hauptrednerin Vera Sharav sprach mit Blick auf die weltweite Corona-Impfkampagne vom Weg „in einen neuen Holocaust“. Die entwickelten Impfstoffe würde das Vernichtungsmittel Zyklon-B ersetzen. Sharav sieht sich deshalb Ermittlungen ausgesetzt. München steht auf bezog sich in eigenen Versammlungen danach explizit auf ihre Rede zum „Nürnberger Kodex“.

Ibing: Regierung delegitmiert den Staat

Die Sicherheitsbehörden reagierten auf die zunehmende Radikalisierung der Szene, die sich in Straftaten gegen Polizeibeamte, medizinisches Personal und gegen Impfzentren zeigte, mit einer neuen Kategorie verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Wer genau in Bayern beobachtet wird, ist unklar. Das Landesamt bestätigte bislang nur, dass der inzwischen verstorbene Karl Hilz dieser Kategorie zugeordnet wurde. Der ehemalige Polizeihauptkommissar wird von den Köpfen von MSA immer wieder als eine Art Mentor bezeichnet. Ob MSA zur Kategorie gezählt wird, ist unklar.

Gedenkenwelt der verschwörungsidelogischen Szene

Auch hier versuchte Ibing am letzten Mittwoch wieder einige Kniffe, um den Malus der möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entkräften. Nicht die Szene mit ihren systematischen NS-Vergleichen säge an den Wurzeln der Demokratie und des Grundgesetzes, sondern die demokratisch gewählte Regierung sei der eigentliche Delegitimierer des Staates. Anlass war eine wohl kurz vor der Entscheidung veröffentliche Umfrage, wonach eine knappe Mehrheit gegen die Lieferung von Panzern gewesen sein soll. Auch dieses Stimmungsbild hat sich inzwischen gewandelt. Ibing machte daraus, die Regierung agiere „gegen das Volk“. Während der Corona-Pandemie hat MSA selten größeren Wert auf Umfragen gelegt.

Eigene Demo gegen die SIKO angekündigt

Die verschwörungsideologische Szene hatte das Thema Ukraine-Krieg schon seit längerem in ihre Narrative eingepflegt und sieht auch hier internationale Organisationen am Werk. Putins Rolle wird nicht diskutiert. Entsprechend wurde auch am Mittwoch wieder ein Schild mitgeführt, wonach es „Ohne WHO keine Pandemie“ gäbe, „ohne EZB keine Inflation“ und „ohne NATO kein[en] Krieg“. Aus Anlass der Münchner Sicherheitskonferenz (SIKO) soll es dieses Jahr eine eigene Demonstration geben. Die Gruppen hinter den „traditionellen“ Kundgebungen „gegen die SIKO“ haben aber eine Zusammenarbeit abgelehnt. MSA ruft deshalb zur Versammlung am 18. Februar am Königsplatz auf, für die deutschlandweit geworben wird. Geplante Großversammlungen der Querdenker und verbundenen Szenen waren zuletzt deutlich hinter den Erwartungen geblieben und konnten von den Teilnehmendenzahlen nicht an Aufmärsche wie in Berlin, Kassel oder Stuttgart anknüpfen.

Eindeutige Zuweisung der Verantwortung bereits auf früheren Demos – Archiv Demo vom 17-08-2022

Am vergangenen Mittwoch hatten sich bei der Demo mit etwa 700 Personen wieder deutlich mehr Anhänger beteiligt als in den Vorwochen. Das könnte am mobilisierenden Thema Panzerlieferung gelegen haben oder am Umstand, dass sich MSA nach mehreren Wochen Pause wieder in der Innenstadt am Marienplatz traf und nicht in den umliegenden Stadtteilen.